Rezension

Elizabeths Geheimnis

Zeit der Schwalben - Nikola Scott

Zeit der Schwalben
von Nikola Scott

Bewertet mit 5 Sternen

Ende der fünfziger Jahre zeichnet sich im Nachkriegsengland eine neue Epoche ab! Die schlimmen Zeiten sind vorbei, Lebensfreude macht sich breit.
Die junge Elizabeth Holloway verbringt, zuerst gegen ihren Willen, denn ihre geliebte Mutter ist sterbenskrank, einen unvergesslichen, doch gleichzeitig schicksalshaften Sommer bei einer befreundeten Familie auf dem Land. Ihr Aufenthalt wird jäh durch den Tod der Mutter beendet und Elizabeth muss, bei dem konservativen und strengen Vater zurückgelassen, alleine den Weg ins Erwachsenenleben finden.
Und dieser Weg ist steinig und schmerzhaft und so ganz anders als sie ihn gemeinsam mit ihrer Mutter erträumt hatte...
Vierzig Jahre später macht sich Elizabeth älteste Tochter Addie auf die Suche nach der Vergangenheit ihrer Mutter, die zu Beginn des Romans seit bereits einem Jahr nicht mehr lebt. Sie deckt nach und nach und mit Hilfe von Phoebe, ihrer plötzlich aufgetauchten Zwillingsschwester, das Geheimnis auf, das ihre Mutter so lange gehütet hatte.
Es ist eine emotional aufwühlende Reise zurück in jenen Sommer 1958, auf der sie nicht nur ihre Mutter sondern auch sich selbst besser kennenlernt, auf der sie lernt, sich selbst zu akzeptieren und schließlich ihre Mutter, zu der sie immer ein schwieriges, seltsam belastetes Verhältnis hatte, endlich zu verstehen....

Nikola Scott hat mit "Zeit der Schwalben" einen sehr bewegenden Roman geschrieben, den man kaum aus der Hand legen mag, bis man endlich alle Mosaiksteine zu einem stimmigen und berührenden Ganzen zusammengefügt hat.
Der Leser begleitet die beiden Zwillingsschwestern, die erst so spät von der Existenz der jeweils anderen erfahren haben, bei der mühevollen und anrührenden Suche nach beider Wurzeln und den Gründen für ihre Trennung und erfährt dabei Erschütterndes über die Situation ungewollt schwanger gewordener junger Frauen im England der frühen 60er Jahre, in denen die Schwestern geboren wurden.
Wer unter der geballten Verachtung der Gesellschaft, die ihnen jedes Recht auf Entscheidung über ihr ungeborenes Kind und Selbstbestimmung absprach ob eines kruden Moralkodexes, und sie wie Aussätzige behandelte, nicht zerbrach, musste über einen unbeugsamen, starken Charakter verfügen - so wie die Roman-Elizabeth!
Doch welchen Preis musste sie dafür zahlen! Den Preis der Unschuld, der Zartheit, des Vertrauens, - denn aus Elizabeth wurde eine Frau, die nur wenige Emotionen zeigte, die hart, ungeduldig und unduldsam wurde!

Vor allem Addie, aus wesentlich weicherem Holze geschnitzt als ihre Mutter, hatte darunter zu leiden, was zu einer verständlichen Entfremdung und nach Elizabeths Tod zu einer Unfähigkeit zu trauern und diesen Tod zu verarbeiten führte.
Sehr einfühlsam beschreibt die Autorin die Entwicklung, die Addie im Laufe ihrer Nachforschungen durchmacht, dabei unterstützt von ihrer wagemutigen und unkonventionellen Zwillingsschwester Phoebe, an die sie sich schnell annähert, und nicht zuletzt dank derer sie ihre Zögerlichkeit und den Wunsch zu gefallen und keinen Anstoß zu erregen bei Familie und Freunden, am Ende abstreifen und sich mit der Mutter versöhnen kann.

Überzeugend und glaubwürdig sind sie zudem gezeichnet, die drei Hauptcharaktere Elizabeth, Addie und Phoebe. Der Leser muss unwillkürlich  Anteil an ihnen und ihrer Geschichte nehmen und kann nicht umhin, sich davon berühren zu lassen und auf ein versöhnliches Ende zu hoffen, das gleichzeitig auch einen Schlussstrich unter die Vergangenheit setzen muss, damit die wiedervereinten Schwestern einen Neuanfang machen können, unbelastet von den Geheimnissen, die wie dunkle Schatten über ihrem Leben lagen.

Positiv hervorheben möchte ich zuletzt auch die klare und gewandte Sprache, mit der Nikola Scott ihren Roman erzählt und die frei ist von jeglicher Sentimentalität, zu der eine Geschichte dieser Art regelrecht einladen könnte und die sie unglaubwürdig machen würde.
Dieses Buch jedoch unterscheidet sich wohltuend von dem, was sicher nicht wenige Autoren aus diesem zu Herzen gehenden Stoff gemacht hätten!
Und so ist "Zeit der Schwalben" einer der guten, der besonderen Romane, die ich in meinem Leben gelesen habe, - und eine klare Leseempfehlung!