Rezension

Entwicklungsgeschichte einer Hochbegabten

No und ich - Delphine de Vigan

No und ich
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 5 Sternen

„Es gibt etwas lästiges im Leben, etwas, wogegen kein Kraut gewachsen ist: Man kann nicht mit Denken aufhören. Als Kind übte ich mich jeden Abend darin, ich lag im Bett und versuchte, absolute Leere herzustellen, einen nach dem anderen verscheuchte ich die Gedanken, noch bevor sie zu Worten gerinnen konnten, ich zog sie mit der Wurzel aus, vernichtete sie mit Stumpf und Stiel, aber ich stieß immer aufs selbe Problem: daran denken, mit Denken aufzuhören, ist immer noch denken. Und dagegen ist nichts zu machen.“ (Seite 136)

Lou ist 13 und die Kleinste aus der Klasse. Kein Wunder, denn sie hat bereits zwei Jahrgangsstufen übersprungen. Sie fühlt sich allein und sie ist es auch. Die Mädchen in ihrer Klasse haben schon ganz andere Interessen und zu Hause trauert die Mutter um Lous verstorbene Schwester. Nur Lukas bemüht sich um sie. Er ist mit Abstand der Älteste in der Klasse, schließlich hat er schon zwei Klassen wiederholen müssen.

Für Lou ist es ein Problem, vor der ganzen Klasse ein Referat zu halten. Als sie ihr Thema (obdachlose Mädchen) gefunden hat, lernt sie No kennen und freundet sich mit der 18jährigen an. Das Referat gelingt hervorragend, doch Lou kann No nicht berichten, weil die untergetaucht ist. Lou gibt nicht auf, findet  sie schließlich und lernt sie immer besser kennen … Lukas wird zum engen Vertrauten und Lous Eltern verlieren zunehmend den Kontakt zur Tochter.

Das Buch hat einen jugendgerechten Spannungsbogen, der auch ältere Leser mitfiebern lässt. Wird es gelingen, No zu zähmen oder gerät Lou „unter die Räder“?

Die Autorin lässt uns tief in Lous Gedankenwelt eintauchen, in ihre Hilfsbereitschaft, ihre Illusionen, ihre Zweifel. „ Bücher haben Kapitel, um die einzelnen Phasen sauber zu trennen, um zu zeigen, dass die Zeit vergeht oder die Lage sich weiterentwickelt, und manchmal sogar Teile mit verheißungsvollen Titeln Begegnung, Hoffnung, Ende, sie sind wie Bilder. Doch im Leben gibt es gar nichts, keine Titel, keine Warntafeln Gefahr, häufiger Steinschlag oder drohende Desillusionierung. Im Leben ist man ganz allein in seinem Kostüm, und es ist eben Pech, wenn es ganz zerrissen ist.“ (Seite 191)

Fazit: ein gelungenes Jugendbuch, das auch Eltern nicht kalt lässt.