Erinnert
Bewertet mit 4.5 Sternen
Der neue Roman des Schweizer Autors in der Diogenes-Ausgabe liegt mir gut in der Hand und gefällt mir schon allein vom Bild und Blick Melodys ausgenommen gut.
Es erinnert an eine Jugendliebe, immer wieder schaue ich es an und stelle mir vor, wie dieses Bild den alten Herrn, den mittlerweile Ex-Nationalrat Dr. Stotz, zu Herzen gehen mag...
"Die Erinnerungen sind eine seltsame Sache. Je älter du wirst, desto weniger weißt du, ob sie echt sind oder einfach entstanden. Wie Stalaktiten in einer Tropfsteinhöhle." (S. 154) Dieses Zitat des alten Herrn fast genau in der Mitte des Romans trifft wohl die Erzähllage von "Melody".
Den Rahmen bildet eine angedachte Jahresaufgabe für den jungen Studenten Tom mit vorzüglichem Salär, freier Kost und Logis in der Nähe des Nationalrats - Suchen und Sortieren von Unterlagen und Notizen...
Wichtiger noch werden die gemeinsamen Gespräche am Kamin sowie die Mahlzeiten.
Martin Suter entwickelt die Geschichte im steten Wechsel von Erinnerungen, Erlebnissen und Zeitsprüngen und spannt einen Bogen von der kurzen glücklichen Zeit des Nationalrats mit Melody, ihrem Verschwinden bis hin zur Gegenwart. Die Millieus sind sehr gut bis bestbürgerlich gediegen und situiert geschildert - der Autor baut mittels dreier Teile und etwa 50 einzelner innerer Episoden allmählich Spannung auf und setzt wichtige Figuren in die Entwicklung der Geschichte ein.
Es verlangt schon Einiges an Geduld und Ausdauer, um über den Genuss des Schreibstils hinaus auch Weiteres zu erfahren und auf Geheimnisse zu stoßen...
Die Hauptfiguren erscheinen mir größtenteils durchaus authentisch, im Mittelteil nimmt der Plot dann an Fahrt auf - lediglich am Ende fällt es etwas ab.
Ich habe mit Interesse und auch aus Sicht recht lange gelebten Lebens heraus verfolgt, wie Erinnerungen an eine Liebe und an eine Frau (nach)wirken und wo Grenzen zwischen Wahrheit und Dichtung sind...
Insgesamt hatte ich ein angenehmes flüssiges freundliches Leseerlebnis, zugleich für einige Stunden Ablenkung und Unterhaltung und erfreute mich an schönen Sätzen und ein wenig altersweisem leisem Humor.