Rezension

Großartig erzählte Tragödie

Mercy Seat - Elizabeth H. Winthrop

Mercy Seat
von Elizabeth H. Winthrop

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch nimmt einen mit. Selten habe ich so etwas Beklemmendes gelesen. Hier steckt Trauer, Schuld und Verzweiflung in jeder Zeile.

 

Martinsville, USA, in den 40er Jahren. Will Jones ist 18 Jahre alt, als er zum Tode verurteilt wird. Er soll ein Mädchen vergewaltigt haben, ein weißes Mädchen. Will behauptet, Grace wäre seine Freundin gewesen und er hätte sie nicht vergewaltigt. Leider kann Grace dazu nichts mehr sagen, weil sie Selbstmord begangen hat, nachdem ihr Vater sie mit Will erwischte.

 

In sehr kurzen Kapitel und aus unglaublich vielen Perspektiven wird hier Wills letzter Tag aufgerollt. Um Mitternacht soll er auf dem elektrischen Stuhl sterben.

Während Nell, noch immer entsetzt über das harte Urteil, das ihr Mann über Will verhängt hat, die Henkersmahlzeit zubereitet, fährt Lane den Transporter mit dem elektrischen Stuhl zum Einsatzort. Dafür hat er einen Tag Freigang erhalten, der erste seit sechs Jahren. Lane hat versehentlich einen Mann getötet und muss dafür zehn Jahre Haft absitzen. Er hat Glück, er ist weiß. Schwarze Vergewaltiger müssen sterben in Virginia.

Sehr viele Menschen haben einen ungewohnten Job an Wills letztem Tag, machen sich Sorgen, trauern und tun, was getan werden muss für Recht und Gesetz. Und Frank, Wills Vater, muss unbedingt noch den Grabstein zum Friedhof transportieren, er hat es versprochen, die Aufgabe aber so weit wie möglich hinausgezögert. Spätestens an dieser Stelle ist man als Leser fertig mit der Welt.

 

Elizabeth Winthrop versetzt sich einfühlsam in jeden einzelnen dieser Menschen. Erzählt bildhaft aber ohne Pathos, wie sie mit dieser Tragödie umgehen, die um Mitternacht zum Showdown kommen soll. Wunderbar macht sie diese Zeit lebendig. Man spürt die Südstaatenhitze, den Staub und sieht sie vor sich, die amerikanischen Pickups an Oras Tankstelle.

Auch die vielen Protagonisten wachsen einem ans Herz, so unterschiedlich sie auch sind. Man lernt sie kennen und leidet mit.

Obwohl dieses Buch nicht sehr lang ist, braucht man ein wenig Zeit, es zu lesen. Die durchgängig bedrückende Atmosphäre ist schwer zu ertragen. Ich musste öfter Pausen einlegen, obwohl ich dringend wissen wollte, wie es weiter geht.

 

„Mercy Seat“ ist ein eindrucksvolles Buch und angelehnt an einen wahren Fall, ein beklemmendes Zeitzeugnis, kein Lesevergnügen, aber spannende, nachhallende und mitreißende Lektüre.

 

Kommentare

LySch kommentierte am 13. März 2018 um 17:16

Deine Rezi ist richtig toll und nimmt einen mit! Scheint ein sehr beeindruckendes Buch zu sein. Ich habe auch schon rein gelesen und bin nun umso gespannter auf diese Lektüre (es ist als übernächstes Buch dran!). Die drückende Stimmung spürt man schon auf den ersten Seiten...

Sursulapitschi kommentierte am 13. März 2018 um 19:21

Danke dir! <3
Ich bin gespannt was du sagst. Ich hatte echt dran zu knabbern.

Emswashed kommentierte am 14. März 2018 um 07:47

Kein Lesevergnügen? Oh je, ich kann mir vorstellen was das bedeutet. Mich interessiert das Buch, aber ich weiss genau, dass es mich in meiner jetzigen Stimmung umbringen würde.

Eine tolle Rezi, aber für mich eine Warnung, erst einmal die Finger davon zu lassen. Trotzdem danke!