Rezension

Herz der Finsternis

Unser Teil der Nacht -

Unser Teil der Nacht
von Mariana Enriquez

Bewertet mit 3.5 Sternen

Dieser Roman ist eine Monstrosität. Man kann sich ihm nicht leichtfüßig widmen, ohne Schaden zu nehmen. Auf 800 Seiten erzählt die argentinische Autorin Mariana Enriquez düster, dicht und packend von einer Geheimgesellschaft, die sich einer dunklen Macht verschrieben hat, um die Unsterblichkeit zu erlangen. Sie hat Geld und Einfluss auf der Welt und glaubt, der übrigen Menschheit überlegen zu sein. Mittendrin steht Juan, das Medium, und sein Sohn Gaspard, den es gilt, um jeden Preis vor dem Orden zu schützen.

Mir fällt es schwer, ein Etikett für „Unser Teil der Nacht“ zu finden. Die übersinnlichen Elemente weisen Richtung Fantasy oder Science Fiction, das Gebaren des Ordens erinnert an die beliebten Verschwörungsromane à la Dan Brown, das Verhalten einzelner Ordensmitglieder ist so unterirdisch menschenfeindlich wie in den ganz finsteren Thrillern und Juans Erlebnisse lassen sich am ehesten dem Genre Horror zuschreiben. Es ist kein Heldenepos in einer fantastischen Welt, keine Reise zu sich selbst, keine Geschichte, um sich davon zu träumen aus der Realität. Vielmehr erscheint einem der eigene Alltag in seiner Banalität plötzlich um einiges tröstlicher.

Zumal das alltägliche Leben in Argentinien während der Militärdiktatur in den späten 1970er Jahren von Angst und Terror geprägt war und die Zeit danach von wirtschaftlicher Unsicherheit.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Juan, Sohn einer schwedischen Einwandererfamilie und eigentlich dem Tode geweiht, da seine Eltern kein Geld besitzen, um den Herzfehler des Sohnes entsprechend behandeln zu lassen. Vielleicht ist es Juans Nähe zum Tod, die es ihm ermöglicht, die Dunkelheit zu rufen und es ist sein Glück und Unglück, dass ein Ordensmitglied Zeuge dieser Dunkelheit in ihm wird. So kommt er als Medium in die mächtige Familie Reyes, die ihn am Leben erhält, um ihn für ihre düsteren Anrufungen zu missbrauchen. Die Tochter des Hauses verliebt sich in Juan und sie gründen eine Familie. Doch echte familiäre Idylle wird ihnen nicht gewährt, ihr gemeinsamer Sohn Gaspard soll irgendwann an Juans Stelle treten und Juan schmiedet einen Plan, um dies zu verhindern und den Orden zu zerstören, selbst über seinen Tod hinaus.

Mariana Enriquez‘ Entwurf einer dunklen Göttlichkeit, die sich durch Juans Körper im Diesseits Bann bricht und Ordensmitglieder zeichnet, ist gar nicht das so sehr das Gruseligste an ihrem Roman. Es ist vielmehr die Stimmung, die mir Schauer über den Rücken jagt. Es schwebt eine Düsternis und ein Fatalismus über dem Text und im Leben der Figuren, die sich auch auf mich Leser überträgt und mich regelrecht schwermütig werden lässt. Gaspard verliert früh seine Mutter durch einen vermeintlichen Autounfall. Sein Vater ist herzkrank, ihm wird keine hohe Lebenserwartung diagnostiziert trotz permanenter medizinischer Überwachung. Die Jahre mit ihm sind geprägt von Widersprüchlichkeit, Einsamkeit, Gewalt und vieler dunkler Geheimnisse. Von einer normalen Kindheit kann man also nicht sprechen und auch Gaspards jugendliche Jahre in der Obhut seines Onkels sind nicht leicht, wenngleich auf mysteriöse Weise eine gewisse Normalität oder sagen wir Geregeltheit Einzug in sein Leben hält. Doch der Orden wird nicht aufgeben und alles unternehmen, um Gaspard für ihre eigenen Zwecke habhaft zu werden.

Das Buch ist in mehrere Kapitel von variierender Länge unterteilt und erzählt verschieden zusammengefasste Zeitabschnitte aus jeweils einer einzelnen Figurenperspektive, die dann wechselt. Auf den ersten Blick wird anachronistisch erzählt, doch letztlich entspinnt sich eine gewisse Stringenz im Erzählen, die chronologisch wirkt. Enriquez Erzählkonzeption ist in sich stimmig und überzeugend, die verschiedenen Stimmen und Perspektiven tun der Geschichte gut. Auch ihr Erzählton überzeugt mich trotz dieser gewissen Schwere, die sich zwischen den Zeilen tief eingegraben hat. Aber ich bin unschlüssig, ob ich diesen Roman weiterempfehlen möchte. Er ist beeindruckend geschrieben, doch in seiner Monstrosität auch irgendwie abstoßend. Vielleicht weil er die Menschen zum Teil in ihren finstersten Facetten darstellt und kaum Hoffnung lässt, dass das Gute sich wird durchsetzen können.