Rezension

Hommage an H.G. Wells - Teil 1

Die Landkarte der Zeit
von Félix J. Palma

Bewertet mit 5 Sternen

Eine Reise durch die Jahrhunderte. Eine Liebe ohne Grenzen. Eine Geschichte voller Wunder. London, 1896: Die Vergangenheit ändern, die Zukunft sehen – alles scheint möglich durch Expeditionen in die vierte Dimension. Andrew, ein wohlhabender Fabrikantensohn, reist in der Zeit zurück, um seine große Liebe vor Jack the Ripper zu retten. Claire, frustriert vom viktorianischen London, flieht dagegen in die Zukunft – und verliebt sich dort. Inspektor Garrett jagt einen Mörder, der mit Waffen tötet, die noch gar nicht erfunden wurden. Alle Fäden der Geschichte laufen zusammen bei einem dämonischen Bibliothekar. Denn nur er kennt das Geheimnis der Landkarte der Zeit

Nach der Lektüre des Klappentextes konnte ich es kaum erwarten, Félix J. Palmas Roman "Die Landkarte der Zeit", im spanischen Original unter dem Titel El mapa del tiempo" erschienen, auszupacken und mich gemütlich damit zum Lesen zurückzuziehen; erschien mir doch die Kombination einer Kriminalhandlung im viktorianischen London verknüpft mit dem phantastischen, abenteuerlichen Element der Zeitreisen nahezu unwiderstehlich. Um es vorweg zu nehmen: meine hohen Erwartungen wurden nicht nur reich belohnt sondern sogar weit übertroffen. Félix J. Palma versteht es seine Leser in einem wunderbar phantasiereichen Verwirrspiel immer wieder zu überraschen, staunen zu lassen, köstlich zu amüsieren und sie auf eine abenteuerliche, teilweise atemberaubende Reise mitzunehmen. Den Roman "Die Landkarte der Zeit" zu lesen, kommt dabei fast der Vielfalt der Eindrücke nostalgischer Jahrmarktbesuche gleich; der Roman wirkt, als führe uns der Autor durch Irrgärten, über die Achterbahn, in die dämonische Geisterbahn und liesse uns durch Kaleidoskope schauen.

Bereits die ersten Sätze des Romans "Die Landkarte der Zeit" haben mich für den Autor Félix J. Palma eingenommen, zeigen sie doch, dass er es versteht, die Möglichkeiten, die Sprache bietet, auszuschöpfen. Sein Erzählstil erinnert an eine Mischung aus Charles Dickens und Carlos Ruiz Zafón, mit denen er die wundervolle Schilderung auch düsterer Atmosphären gemeinsam hat. Sein allwissender Erzähler blendet sich mal mehr, mal weniger in die erzählte Handlung ein und würzt die Geschichte mit einer ordentlichen Portion eines herrlich ironischen Untertons. Insbesondere in handlungsarmen Passagen greift der allwissende Erzähler ein und verkürzt diese mit zunächst wenig relevant erscheinenden amüsanten Einschüben zur Vergangenheit handelnder Personen in Dickensscher Ausführlichkeit. Auch wenn der Leser auf den ersten hundert Seiten scheinbar nichts Neues erfährt, da sie ja lediglich die Geschichte von Jack the Ripper aus anderer Sicht neu erzählen, ist auch dieser Teil so gut erzählt, dass er nicht nur auf das Folgende vorbereitet sondern auch gut unterhält. Ein Schwachpunkt des Romans ist zweifellos, dass der Leser sehr lange im Dunkeln tappt, wozu er das, was er erzählt bekommt, überhaupt erfährt und wo ihn dies überhaupt hinführen könnte, weshalb sich auch einige Längen einstellen. Dieser Schwachpunkt wird aber mehr als wett gemacht, wenn man sich auf das Geheimnisvolle und Rätselhafte einlässt, bis im dritten Teil das furiose Finale erreicht wird. Vieles was in den ersten beiden Teilen als nebensächlich oder gar überflüssig erscheint, erschließt sich erst im dritten Teil und führt dort zu unglaublichem Lesevergnügen.

"Die Landkarte der Zeit" ist eine phantastische, humorvolle Hommage an H. G. Wells und den Beginn des literarischen Genres der Zukunftsromane, später irgendwann Science Fiction genannt, und an die Kraft der Liebe. Félix J. Palma überzeugt in seinem Roman mit intelligenter Konzeption, sprachlicher Versiertheit und phantasievoller Verwendung von Elementen aus Abenteuerroman und Steamfantasy, und lässt dabei Raum für tiefgründige Gedanken. Schon lange hat mir kein Roman ein derartiges Lesevergnügen beschert, schon lange wurde ich nicht mehr so sehr vom Zauber einer Geschichte und deren Welt eingehüllt, dass ich mich in ihrem Labyrinth hätte verlieren können. Um den spitzohrigen Helden einer Science Fiction - Reihe des 20. Jahrhunderts zu zitieren: "Faszinierend".