Rezension

Konnte mich nicht überzeugen

Der Tintenfischer -

Der Tintenfischer
von Wolfgang Schorlau

Bewertet mit 2 Sternen

Venedig in Zeiten des Corona-Lockdowns ist menschenleer, aber neben dem Canal Grande erholen sich auch die kleineren Canäle von den Touristenströmen der Vergangenheit.

Auf einem Routinerundgang beobachten Antonio Morello und Anna Klotze wie ein farbiger junger Mann von der Rialtobrücke springt. Beherzt setzt Anna dem jungen Mann nach und kann ihn vor dem Ertrinken retten.

Dieser Einsatz wird von einer Überwachungskamera gefilmt und im Netz verbreitet. Statt einer Belobigung für ihren Einsatz, erwartet die Retter ein Donnerwetter vom Questore und die Order den „NEGER“ schnellstmöglich abzuschieben.

 

 

Eigentlich ein guter Plot, der Anfang erschien mir auch sehr vielversprechend. Ich liebe Venedig. 

Das erste Drittel des Krimis erinnert stark an die Krimis von Donna Leon, Questore (alla Patta), Sekretärin Viola (Elettra) und unfähige Polizisten (Sergente Alvise), aber der Commissario ist ein ganz anderer. Während Commissario Brunetti ein absoluter Familienmensch ist und bei seinen Ermittlungen seine Familie immer zu schützen weiß, ist der sizilianische Commissario Morello einsam (seine Frau und sein ungeborenes Kind fielen einem Bombenattentat zum Opfer) und heimwehkrank. Er ist voller Hass und Zweifel.

Anna Klotze liefert bei jeder Begleitung des Commissario Morello Hintergrundwissen über Venedigs Vergangenheit und erzählt viel über die Umgebung. Anna will mit ihren Beschreibungen für Morello ein Wohlfühlszenario aufbauen, um ihm die Eingewöhnung zu erleichtern. Aber auch uns Lesern gibt sie damit eine Atmosphäre wieder, die wir an Venedig lieben. Aber nach Erledigung lokaler Verbrechensbekämpfung entwickelt sich der Krimi zum Mafia-Drama.

Nachdem Commissario Morello sich durch Suspendierung Freiraum geschaffen hat, um sich ins unvermeidliche zu stürzen, erleben wir erst einmal einen romantischen Segelturn mit Kindheitserinnerungen, sehr atmosphärisch beschrieben.

Anschließend mutiert der Krimi, wenn ich ehrlich sein soll, teilweise zum Slapstick (die Entführung einer Prostituierten bei laufenden Motor des Fluchtfahrzeuges) und zum unglaubwürdigen Amoklauf.

Vielleicht liegt es auch an mir. Ich glaube nicht an diese naiven Räuberpistolen. Krimis sind fiktiv, sicher, aber für mich müssen sie wenigstens nachvollziehbar sein. Die Mafia ist eine erste Sache. Die betrügt man nicht und die besiegt man heute auch nicht mehr. Höchstens können, wie bei der Hydra immer nur einzelne Köpfe zerschlagen werden, wo neue dann wieder nachwachsen. Ein einzelner Commissario, als Rächer, Richter und Vollstrecker, ist da unglaubwürdig. 

In diesem Krimi wurde viel recherchiert, über die italienische Flüchtlingspolitik, über die europäische Wirtschaftsspritze und ihre Adressaten sowie über die Struktur und Ausbreitung der Mafia, und alles nachvollziehbar dem Leser vermittelt.

Für mich ergibt sich aber trotzdem nur ein mäßig spannender Krimi, weil ein naiver Commissario, der die Stärke, Kompromisslosigkeit und Grausamkeit der Mafia erlebt hat, sich todesmutig zur Rettung einer einzigen jungen Frau in die Höhle des Löwen wirft, sie rettet und es erstaunlicherweise überlebt.

Sorry, nicht mein Ding.