Rezension

Manipulationen aus dem Jenseits

Die sieben Monde des Maali Almeida -

Die sieben Monde des Maali Almeida
von Shehan Karunatilaka

Bewertet mit 5 Sternen

Maali, 35 Jahre jung, schwul, Fotograf, bekennender Spieler und selbsternannte Schlampe, meldet sich aus dem Zwischenreich. Er wurde soeben vom Dach des Arts Center Clubs gestoßen und steht nun vor dem Tresen der Verwaltung der kürzlich Verstorbenen. Dr. Ranee Sridharan erklärt ihm die Formalitäten. Er soll sich im 42. Stock (der Antwort nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, eine Adams Hommage) zur Ohrenuntersuchung zwecks Bewertung seines Lebens melden. Anschließend darf er ins Licht gehen, vergessen und wiedergeboren werden. Er darf sich 7 Monde lang im Zwischenreich aufhalten, wenn diese Frist überschritten wird, muss er für immer als Geist auf der Erde wandeln. Die Zeit möchte Maali nutzen, herauszufinden, wer ihn vom Dach gestürzt hat... denn es ist das Jahr 1990 und Sri Lanka, dessen Hauptstadt Colombo das ACC beherbergt, befindet sich seit Jahren im Bürgerkrieg. Maalis Aufträge als Fotograf haben ihn an alle Schauplätze von Anschlägen und Massaker des Landes zwischen Singhalesen und Tamilen gebracht. Dort schoss er sowohl Fotos fürs Militär, als auch für eine kanadisch-norwegische Hilfsorganistaion CNTR. Am brisantesten waren allerdings die Fotos, die Maali heimlich schoss, die Fotos, die er nicht verkaufte, sondern unter Verschluss hielt, die Fotos, die die Regierung stürzen könnten und die Fotos, an die er jetzt nicht mehr herankommt.

Das Zwischenreich ist bevölkert von allerlei Pretas, Ghouls und Yakas. Der harmlos erscheinende Ghoul Sena macht Maali das verlockende Angebot, mit ihm zu kommen, sich dem strikten Verwaltungsablauf dieser Zwischendimension zu entziehen und verspricht ihm sogar die Kontaktaufnahme zu Maalis noch lebenden Freunden, Dilan und Jaki, mit denen er in einer Wohngemeinschaft gelebt hat. Maali erhofft sich nämlich durch Jaki eine Veröffentlichung der versteckten Fotos. Er möchte für Sri Lanka das sein, was "das nackte Napalmmädchen für Vietnam war". Gleich Simon Wiesenthal, der mit Fotos nach den wahren Naziverbrechern fahndete, sollen Maalis Fotos die eigentlich Strippenzieher der Greuel enttarnen. Waffenhändler, Minister und Militär. Diese sind nach Maalis Tod alarmiert und versuchen ebenfalls der Fotos habhaft zu werden.

Eine wilde Jagd beginnt, latent gelenkt von den Geistern, während Maali sich an die Schauplätze seines Lebens zurückerinnert. Langsam aber sicher kommt ihm die Erkenntnis, wer im letzten Augenblick seines Lebens an seiner Seite stand.

Nicht nur das überreiche Personal machen den Roman zu einer zwar lebendigen, aber auch anstrengenden Lektüre, auch das raffinierte Zusammenspiel des Totenreichs mit den Lebenden sperrt sich dem Konventionellen. Das Personenregister und der Kartenausschnitt Colombos am Ende des Buches wurden von mir oft zu Rate gezogen.

Der Ich-Erzähler Maali, der mit seinem Tod in die auktoriale Ebene befördert wird, hat kein Interesse daran, sich oder andere zu erklären. Allein die Erinnerungen an sein Leben liefern die Erkärungen für seine ungewöhnliche Lebenssituation. Karunatilakas Witz und Esprit hilft über die anfänglichen Verwirrungen hinweg. Der Leser darf sich auf zwei Ebenen niederlassen, dem Geisterreich und/oder der Jagd nach den Fotos. Derart beschäftigt, schiebt der Autor dem Leser die schwere Kost des Bürgerkreigs unter. Kurz bevor es bitter wird, serviert uns Karunatilaka einen hoffnungsvollen Ausblick ins Jenseits, mit der Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. (Wer weiß, ob unsere Bauchgefühle nicht doch Einmischungen aus dem Jenseits sind, haha.)

Der Roman wurde 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnet, die Gestaltung des Hardcovers aus dem Hause Rowohlt gleicht einer Farbexplosion auf einem Festival und verspricht eine lebensfrohe Leichtigkeit, die Hannes Meyer erfolgreich ins Deutsche übersetzt hat. Shehan Karunatilaka wurde 1975 in Sri Lanka geboren, Colombo war und ist wieder seine Heimat.

Die Komposition des Romans mag eine ungewöhnliche sein, die Herausforderung groß, doch mit viel Kreativität und Fantasie bringt uns der Autor die probelmatische Geschichte Sri Lankas näher. Exotisch, politisch, menschlich, genial.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 04. Januar 2024 um 18:19

Wunderbare Rezension mit genialen Formulierungen, bei denen ich schmunzle! Well done. Was ich schwierig an dem Roman finde, ist nicht die Geisterwelt, sondern die Dialoge, die manchmal auch hölzern sind - aber insgesamt: ganz deiner Meinung!

Emswashed kommentierte am 04. Januar 2024 um 18:58

Ein Lob aus Deiner Feder ist mir immer wieder Ritterschlag, danke!