Rezension

"Meine Liebe ist stärker als ihr Hass"

Winterkinder - Owen Matthews

Winterkinder
von Owen Matthews

Mit seinem Werk über „Stalins Kinder“ ist Owen Matthews etwas Besonderes geglückt: es gelingt ihm mühelos, seine Leser über achtzig Jahre russische Geschichte zu fesseln.

Er erzählt gewissermaßen „aus dem Nähkästchen“, von den Schicksalen einzelner Personen seiner Familie, die eng verwoben sind mit der wechselhaften Politik der Sowjetunion verschiedener Epochen.

Sein Familienepos umfasst drei Generationen. Es beginnt mit dem Leben und Sterben des russischen Großvaters in den Dreißiger Jahren der Stalinzeit. Aus Berichten seiner Großmutter, die selbst in einem Arbeitslager inhaftiert gewesen war, und eigenen Archivrecherchen zusammengestellt zeichnet Matthews ein eindrucksvolles Bild jener Zeit. Er lässt den Leser mit leiden und mit hoffen, ganz eintauchen in eine Zeit unvorstellbarer Rechtlosigkeit und Menschenverachtung.

Auch den Lebensweg der nachfolgenden Generation, der Mutter des Autors und ihrer Schwester, lässt er sehr bildhaft lebendig werden.

Abwechselnd mit Abschnitten über Ljudmilas Leben wird in Kapiteln über das Heranwachsen und den Werdegang des Vaters in England, berichtet, bis sich die Wege seiner künftigen Eltern, Ljudmila und Mervyn, kreuzen.

Unpathethisch, aber nicht emotionslos, schildert Matthews den jahrelangen, frustrierenden Kampf des jungen Paares gegen die Bürokraten Russlands und Englands zur Zeit des Kalten Krieges. Hierbei stützt er sich auf den Briefwechsel der Verliebten ebenso wie auf Veröffentlichungen und Aufzeichnungen Mervyns, die seine verzweifelten Bemühungen, Ljudmila heiraten und mit ihr zusammen leben zu können, detailliert dokumentieren.

Schließlich fließen auch Matthews´ eigene Russland-Erfahrungen der späten Achtziger und Neunziger Jahre mit ein und schlagen eine Brücke zum modernen Russland.

So sehr sich die politische Landschaft auch wandelt, für den Autor des Buches steht unausgesprochen immer eine Frage im Mittelpunkt: was zählt der einzelne Mensch und sein Schicksal im großen Zusammenhang mit Politik und Weltgeschichte?

Achtzig Jahre Zeitgeschichte, nicht abstrakt und lehrbuchhaft, sondern lebendig und menschlich dargestellt durch Familienschicksale: sehr lesenswert