Rezension

Neues Jahr - Neuer Anfang

Neujahr - Juli Zeh

Neujahr
von Juli Zeh

Bewertet mit 4.5 Sternen

Henning steht im Zwiespalt: Einerseits hat er es richtig gut - eine tolle Frau, zwei gesunde Kinder, einen Job, keine großen finanziellen Sorgen. Aber gleichzeitig steht er unter enormem Druck: Wie soll er nur all den Erwartungen gerecht werden? Henning fühlt sich überfordert, er verliert den Boden unter den Füßen, und seit einiger Zeit leidet er unter schrecklichen Panikattacken, für die es keinen Grund zu geben scheint.

Ein Winterurlaub führt die Familie nach Lanzarote. Am Neujahrsmorgen nimmt sich Henning eine Auszeit und macht eine Radtour, die ihn auf den steilen Berg beim Dorf Fermés führt. Völlig erschöpft erreicht er den Gipfel und hat in einem Haus dort ein Déjà-Vu: Er erkennt nicht nur das Gebäude wieder, sondern hat plötzlich ganz konkrete Erinnerungen aus seiner Kindheit. Hier muss er schon einmal als kleiner Junge die Ferien verbracht und dabei so schreckliche Erlebnisse gehabt haben, dass er alles verdrängt und vergessen hat. Hier liegt der Schlüssel zu seinen jetzigen Gefühlen. Henning ergreift die Chance, sein Leben zu ändern.

Juli Zeh erzählt mitreißend: Ich kann mich sowohl in den erwachsenen als auch in den kindlichen Henning einfühlen und mit ihm mitleiden. Sein erster Schritt in eine Veränderung ist überzeugend. Neben diesem persönlichen Schicksal, das so empathisch geschildert ist, stellt sie aber indirekt auch Fragen, die weiterführen: Wie kann Familie, wie Partnerschaft in der heutigen Zeit funktionieren? Über berufstätige Mütter, die sich zwischen Beruf und Familie aufreiben und selbst ständig zu kurz kommen, ist schon viel geschrieben worden. Zeh stellt hier einen Vater in den Mittelpunkt, der sein Bestes gibt, das aber nie zu genügen scheint.