Rezension

Packend und aufwühlend

Loyalitäten - Delphine de Vigan

Loyalitäten
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 4.5 Sternen

Delphine de Vigan schreibt in ihrem neuen Roman über Loyalität in vielen Facetten, in Familien, Freundschaften und im Arbeitsumfeld.

Es geht vor allem um den zwölfjährigen Théo, der sich vor seiner schwierigen Familiensituation in den Alkoholmissbrauch flüchtet. Seine Lehrerin Hélène ist geprägt von ihrer schwierigen Kindheit, als ihr Vater sie misshandelte und missbrauchte. Sie spürt intuitiv, dass auch bei Théo etwas nicht stimmt. Weitere Kapitel des Romans werden aus der Sicht von Théos Freund Mathis und seiner Mutter Cécile erzählt.

Trotz der Kürze des Buches mit nur gut 170 Seiten werden zahlreiche ernste und aktuelle Themen angeschnitten: Alkoholmissbrauch von Minderjährigen und Erwachsenen, Kindesmisshandlung und -missbrauch, Vernachlässigung von Kindern und am Rande sogar Themen wie Rechtspopulismus, Hasstiraden im Internet und sozialer Abstieg.

Das Buch ist eindringlich geschrieben und auch so schwierige Szenen wie die Erinnerung an Hélènes Kindheit sind nicht voyeuristisch. Theos Alkoholrausch und sein Verlangen nach immer mehr Alkohol sind sehr detailreich und dadurch fast verständlich beschrieben.

Das Thema Loyalität ist dabei der rote Faden: Théo trinkt, weil der Umgang mit seinem depressiven Vater und der von diesem geschiedenen hasserfüllten Mutter ihn überfordert. Hélène hat aus Loyalität zu ihrem Vater in ihrer Jugend keinen Schutz gesucht, ihre Mutter war nur dem Vater gegenüber loyal. Mathis möchte seinem Freund Théo helfen, ihn aber nicht verraten. Cécile schließlich hat ein Geheimnis ihres Mannes entdeckt, dass ihr jede Loyalität zu ihm unmöglich macht.

Loyalität mag nicht gleichzusetzen sein mit Liebe, befindet sich aber in unmittelbarer Nähe dazu. Wieviel Loyalität brauchen Familienbeziehungen und Freundschaften? Wo ist der Punkt, an dem Loyalität nur falsches Schweigen ist? Wann gilt es, Loyalität aufzugeben, sei es, um sich selbst oder andere zu schützen? Gibt es eine Pflicht zur Loyalität oder vielleicht zum Gegenteil? Diese Fragen werden nicht alle beantwortet, aber gerade dadurch regt der Roman zum Nachdenken an.

"Loyalitäten" ist ein packendes, aufwühlendes Buch, das ich sehr empfehlen möchte.