Rezension

Schau mir in die Augen, Kleiner

So reich wie der König -

So reich wie der König
von Abigail Assor

Bewertet mit 4 Sternen

Casablanca blickt als größte Stadt Marokkos auf eine bewegte Geschichte zurück, in der über die Jahrhunderte europäische Mächte ihre Hände nach der Hafenstadt ausstreckten. Lange Zeit stand Marokko unter französischem Protektorat. Die Franzosen haben Casablanca zu einem Wirtschaftszentrum aufgebaut und im 2. Weltkrieg kam der Stadt als strategisch wichtiger Hafen eine weltweite Bedeutung zu, die sich durch den Kinofilm „Casablanca“ mit Ingrid Bergman und Humphrey Bogart fest ins westliche Kulturgedächtnis einschrieb. Dabei wurde der Film fast ausschließlich in den Studios Hollywoods gedreht. Meine Kenntnisse über Casablanca beschränken sich neben den Kneipenszenen also auf die neblige Szene am inszenierten Flughafen, als Rick seiner Geliebten zum Ende des Films die Flucht ermöglicht.

Abigail Assor führt mich ins Casablanca der frühen 1990er Jahre. Ihre Bilder zeichnen eine kontrastreiche, farbenfrohe, laute, lebendige, geruchsintensive Stadt, in der Elend und Luxus eng beieinander liegen und doch klar und fast unüberwindlich abgegrenzt voneinander sind. Assors Hauptfigur ist die junge Französin Sarah, die durch die amourösen Abenteuer ihrer Mutter in Casablanca gestrandet ist und von einem besseren Leben träumt. Die Mutter ernährt die kleine Familie mehr schlecht als recht durch ihre zahlreichen Kontakte in die Männerwelt. Es ist ein unsicheres Leben am Rande der Existenz, geprägt von Gewalt und Sexualität. So hat auch Sarah früh gelernt, ihre eigene Schönheit gezielt einzusetzen, um sich ihr tägliches Mittagessen zu ermöglichen. In ihrer Vorstellung gibt es nur einen Ausweg aus dem Elend: Sie muss einen reichen Mann finden, der sie heiraten und auf Händen tragen wird. Während ihre Mitschülerinnen für einen guten Abschluss lernen, steckt Sarah ihre ganze Energie in das Prinzip Täuschung und begegnet schließlich Driss, Sohn einer arabischen Textil-Dynastie aus bestem Hause und „reich wie ein König“. Driss ist nicht besonders attraktiv oder wortgewandt, er sollte leicht zu erobern sein und so richtet Sarah ihre ganze Kraft auf die Verführung ihres Auserkorenen.

Abigail Assor lässt uns von Anfang an teilhaben an Sarahs berechnenden Gedanken und manipuliertem Handeln gegenüber den reichen Jungs der Stadt und dennoch weckt sie eine Grundsympathie für ihre Figur, die schnell tragische Züge erhält, weil sie uns jeden Aspekt aus Sarahs Leben vor Augen führt. Die Notwendigkeit ihre Reize zu verkaufen, um satt zu werden. Der Blick aus der ärmlichen Wohnung ins benachbarte Elendsviertel. Die Situation der Frauen in Marokko, die nur einen Wert an der Seite eines Mannes haben. Sarah in ihrer emotionalen Verwahrlosung sucht eigentlich nach einem Halt in ihrem Leben. Sie ist zu arm, um sich Bildung leisten zu können, und zu jung und allein, um einen Wert in sich selbst zu erkennen, der nichts mit Äußerlichkeiten zu tun hat. Von ihrer Mutter hat sie nur gelernt, ihre Schönheit zu verkaufen. Sie selbst bringt sich bei, so zu sein, wie die Jungs sie haben wollen. Driss und sein Leben will sie so unbedingt, dass sie eine folgenschwere Entscheidung trifft und dabei naiv unterschätzt, dass die Reichen lieber unter sich bleiben, vor allem wenn es ums Heiraten geht.

„So reich wie der König“ ist eine beeindruckende Lektüre von schlichter und gleichsam intensiver Poesie, die von der ersten Seite an einen Sog entwickelt, dem man sich nur schwer entziehen kann, obwohl man es nur zu gern möchte, um dem unvermeidlichen Unglück der jungen Protagonistin zu entgehen.