Rezension

So stark wie karg

Männer wie Männer, Frauen wie Frauen - Marja-Liisa Vartio

Männer wie Männer, Frauen wie Frauen
von Marja-Liisa Vartio

Bewertet mit 5 Sternen

Auf der Frankfurter Buchmesse 2014 steht dankenswerterweise finnländische Literatur im Mittelpunkt des Interesses. Denn bisher ist finnische Literatur in der Bundesrepublik nicht präsent. Im Vorfeld dessen liegt erstmals die Übersetzung dieser finnischen Erfolgsautorin des zwanzigsten Jahrhunderts vor:

Irgendwo im Buch mag stehen, wie ihr vollständiger Name lautet, aber für den Leser bleibt Leena einfach nur Leena. Und als Leena später in der Stadt in Stellung geht, wird sie in der dritten Person angeredet: „Leena kann dies tun, Leena kann jenes machen und hat Leena daran gedacht, eine Kindausstattung zu stricken und Leena soll zur Mütterberatungsstelle gehen.“ Leena hat an nichts gedacht, es ist ihre Natur, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Ausserdem hat sie keine Worte für Unbekanntes, Neues.

Mit Worten ist Leena nicht so gut, was man von der Autorin nicht sagen kann. Marja-Liisa Vartio lässt Leenas Panik, als sie merkt, dass „so etwas von so was kommt“ plakativ vor mir entstehen, ohne dass Leena sich mit Worten ausdrückt; deren Überforderung kommt gerade durch die Kargheit von Leenas Wortschatz zum Ausdruck. Leenas Wesen ist präsenter durch unmittelbares, pures Sein denn durch Reflexion. Kochend heisse Saunagänge bringen sie fast um, aber das Kind bleibt. Chinin wird geschluckt, das ist noch schlimmer, vor allem in der Kombination mit der Sauna, aber das Kind bleibt. Sie reißt in sengender Hitze stundenlang das Unkraut aus, gräbt mit blossen Händen nach dem tiefen Wurzelwerk, bekleidet mit einer viel zu warmen weiten Jacke, damit niemand zu früh bemerkt was mit ihr los ist, macht keine Pausen und rettet sich nicht in den Schatten, bis eine große Schwäche sie nieder zwingt, den Körper dicht an der Erde, den Kopf in die Pflanzen gedrückt, einer Ohnmacht nahe. Da liegt sie, ausgeliefert und doch der Erde verbunden. Der Erde verbunden, das ist Leena.

Ihre Liebesgeschichte ist eine kleine, unscheinbare oder auch keine. Als „die Frau“ sie fragt, ob sie ihn denn hätte heiraten wollen, wenn er frei gewesen wäre und sie die Wahl gehabt hätte, schweigt sie. An so etwas hat sie nie gedacht. Dass man eine Wahl haben könnte. In ihrer (Gedanken-)Welt geschehen die Dinge einfach und man muss sehen, wie man damit klar kommt. Aber nach und nach gelingt es Leena doch, etwas zu formulieren. Das, was sich mühsam herauskristallisiert. Dass es Möglichkeiten gibt.

1959 in Finnland erschienen, ist Vartios „Männer wie Männer, Frauen wie Frauen“ auch 2014, als sie endlich übersetzt wird, ein starker Auftritt. Marja Liisa Vartio ist Jahrgang 1924 und als Autorin in Finnland schnell bekannt geworden. Viel zu früh stirbt mit ihr 1966 ihre Erzählkunst. Bei uns kannte man sie bisher nicht. Ich hoffe, nach diesem Werk werden weitere Übersetzungen folgen.

Fazit:  eine Bereicherung

Kategorie: gehobene Literatur
Insel Verlag Berlin 2014