Rezension

Sollte man jemanden im Zug ansprechen?

Das Glück in vollen Zügen - Lisa Kirsch

Das Glück in vollen Zügen
von Lisa Kirsch

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die Mittdreißiger Marie und Jo pendeln jeden Tag 2 Stunden von Herrsching am Ammersee nach München zur Arbeit. Beide sind noch auf der Suche nach der großen Liebe und da begegnen sie sich im Zug, doch niemand wagt den ersten Schritt. Bis sie sich aus den Augen verlieren...

Während die Freunde der Mittdreißiger sich alle beruflich selbstständig machen und Kinder bekommen, haben die Protagonisten Marie und Jo ihr eigenes Päckchen zu tragen. Beide mussten wieder nach Hause zu ihren Eltern ziehen, was ihnen eigentlich gar nicht behagt. Wünschten sie sich doch beide Karriere zu machen und dann eine eigene Familie zu gründen. Doch Maries Vater ist verstorben und nun möchte sie ihre Mutter unterstützen, die ganz alleine in ihrem großen Haus am Ammersee lebt. Und auch Jo ist wieder zurück nach Herrsching gekommen, da sein Vater dement wird und dringend Unterstützung braucht. Wie soll man da noch die große Liebe finden?

Jo weiß es, er tindert. Dabei hat er eine nette Frau per WhatsApp kennengelernt, doch die hat ihn plötzlich geghostet. Dann eines Tages steht sie an seiner S-Bahn-Haltestelle und er spricht sie einfach an, mit Schnittlauch von seinem Frühstück im Gesicht... Doch die rothaarige, sympathische Frau blockt ihn komplett ab, sie kennt ihn nicht. Jos Selbstbewusstsein schwindet, was stimmt nur nicht mit ihm? Kurz darauf entdeckt er Marie in der S-Bahn. Eine blond gelockte Frau etwa in seinem Alter, die sich in der Bahn umzieht. Von der Ökotante in Birkenstocks verwandelt sie sich urplötzlich in eine knallhart aussehende Geschäftsfrau. Sein Interesse ist geweckt, doch er spricht sie nicht an. Jo ist Marie ebenfalls aufgefallen, aber sie hat ihre ganz eigenen Probleme. Ihre Hündin Dexter bekommt Junge, der neue Freund ihrer Mutter ist einfach nur ätzend, ihre beste Freundin Katja bekommt ein Kind und ihr Traum von eigenen Kindern wird wohl einer bleiben. Und trotzdem findet sie Jo interessant und beobachtet ihn seit jetzt in der Bahn. Jo will Marie immer wieder ansprechen, aber immer kommt etwas dazwischen. Dann taucht sie plötzlich mit der Gala im Zug auf, und sie!!! ist darin engumschlungen mit dem reichen Münchener Schnösel Nepomuk Semmelhuber abgebildet. Sind sie gar verlobt? Immer scheint es so, als sei der ein oder andere verheiratet oder vergeben. Marie strickt Babymützchen und kauft Babygläschen...

Und dann sehen sie sich irgendwann nicht mehr. Es gilt herauszufinden, wie der andere heißt und wo er wohnt.

Das Buch ist sehr liebevoll gestaltet und erinnert tatsächlich ein bisschen an Bücher von Petra Hülsmann. Die Autorin fängt den Alltag und die Themen von Anfang 30-jährigen sehr gut auf und so kommt es öfter zur Situationskomik. Die Liebesgeschichte vom Immer-aneinander-Vorbeilaufen ist natürlich romantisch-kitschig, aber der Charakter der Figuren ist breit ausgelegt.
Man erfährt die Sehnsüchte und Sorgen der Protagonisten. Vieles scheint einfach und rosig. Traumhaft lebt Marie in ihrem kleinen Bauwagen a la Peter Lustigs im Garten ihrer Mutter, direkt am Ammersee. Dort springt sie jeden Morgen ins Wasser und frühstückt dann ihre eigenen Früchte in ihrem selbstgemachten Granola-Müsli. Sie hat außerdem einen Superjob und megatolle Freunde, die auf den ersten Blick oberflächlich wirken, aber ein großes Herz haben. Marie lebt total klimabewusst. Und ansonsten ist sie auch ganz süß und etwas tollpatschig, sowie Jo. Außerdem hat sie eine Freundschaft Plus mit ihrem besten Freund dem heißesten It-Boy Münchens, mit dem ihre Mutter sie am liebsten vorgestern verheiratet hätte.
Aber genauso hat die Protagonistin auch ihre eigenen Probleme. Wahrscheinlich wird sie ihr Zuhause verlassen müssen, weil ihre Mutter das Haus verkaufen will. Kinder wird sie höchstwahrscheinlich nie bekommen können, was besonders weh tut, da ihre Hündin und ihre Freundin schwanger sind. 
Jo ist ein Karrieretyp, sportlich und trinkt auch gern mal ein Bier mit seinen Freunden. Nur mit den Frauen klappt es einfach nie. Seine Ex-Freundin war richtig ätzend. Seine Geschwister wohnen weit weg und wollen mit der Demenz ihres Vaters nichts zu tun haben. So kommt es dann auch, dass Jo eines Tages vergiftet ins Krankenhaus muss.

Witzig, charmant und gleichzeitig tiefgehend. Eine schöne Liebesgeschichte im idyllischen Herrsching am Ammersee. Wer will da nicht direkt Urlaub machen?