Rezension

Vielschichtige, tiefgründige Protagonistin, die trotz psychopathischer Abgründe menschlich wirkt

Von ganzem Herzen Emily - Tanya Byrne

Von ganzem Herzen Emily
von Tanya Byrne

Bewertet mit 4.5 Sternen

Tatsächlich kommt einem die Protagonistin Emily, die die Geschichte aus der Ich-Sicht erzählt bzw. die Geschichte in ein altes Schulheft schreibt, selten wie eine Psychopathin vor. Und vermutlich macht genau dies das Buch aus.

Emily erzählt die Geschichte rückblickend. Und sie erzählt sie nicht linear. Der Leser weiß grob, was passiert ist und was die Hintergründe dazu waren. Nur das Wie ist die Frage. Und alle näheren Details. Und natürlich das Warum.
Teile der Handlung stellen Rückblicke Emilys in ihren Rachefeldzug da. Die andere Hälfte bezieht sich auf das Leben in der Psychiatrischen Abteilung der Jugendstrafanstalt, in der sie sich jetzt befindet.

Wer jetzt allerdings glaubt, dies würde dem Buch die Spannung kosten, liegt falsch. Das Buch ist immer noch unglaublich fesselnd, ich konnte es kaum aus der Hand legen. Und auf diese Weise baut der Leser ein ganz anderes Verhältnis zu der Protagonistin auf.

 

Wie bereits angesprochen wirkte Emily eigentlich wie ein ganz normales Mädchen.  Auch wenn das Identifikationspotenzial natürlich nicht sonderlich hoch ist, konnte ich mich zumindest in sie hineinversetzen. Genau genommen war es sogar möglich, sie zu mögen. Wenn man die psychopathischen Seiten an ihr nicht beachtete.

Vielleicht war das die Botschaft des Buches. Dass auch Verbrecher irgendwo Menschen sind. Emilys Verhalten war alles andere als gut, im Prinzip war es verabscheuungswürdig, durchgedreht, psychopathisch. Und doch hatte sie ihre Motive. Und so stellt sich immer die Frage, was wäre, wenn sie sich anders entschieden hätte. Eine Frage, die sich Emily selbst manchmal stellt. Es geht nicht darum, zu akzeptieren, was sie getan hat. Sondern es zu verstehen.

 

Die Geschichte wird nicht aus der Sicht des Opfers erzählt, sondern aus der des Täters. Wieso und wie Emily das getan hat sowie ihre Entwicklung werdet ihr selbst lesen müssen.
Emily verhält sich in der Gegenwart oft zynisch, auflehnend und selbstbewusst. Von der Gesellschaft ausgestoßen und verabscheut hat sie gelernt, auf sich allein gestellt zu sein. Teilweise kommt sie schon fast ein wenig verbittert rüber. Prinzipiell ist sie also eine sehr vielschichtige Persönlichkeit.
Dies gilt auch für die anderen Charaktere, die allerdings eher blass bleiben, da das Hauptaugenmerk auf Emily liegt. Und darauf, dass böse nicht einfach böse ist.