Rezension

Wunderschön geschrieben

Das Meer in deinem Namen - Patricia Koelle

Das Meer in deinem Namen
von Patricia Koelle

Bewertet mit 5 Sternen

„...Einer gewaltigen Welle gleich rollte diese Stille von dem Hügel herab über Carly hinweg und in sie hinein, sog die Sorgen, den Lärm, die Trauer der letzten Zeit auf wie Löschpapier, schaffte Raum in ihr für Neues..."

 

Carly steht an einem Scheidepunkt ihres Lebens. Professor Thore Sjöberg teilt ihr mit, dass ihre Assistentenstelle nicht verlängert wird. Sie braucht einen neuen Job. Das aber bedeutet auch Trennung von Thore. Der hat gerade am Meer ein Haus geerbt und bietet Carly an, dass sie dort eine Inventur durchführen und das Haus zum Verkauf fertigmachen soll. So macht sich Carly auf den Weg nach Ahrenshoop.

Die Autorin hat einen bewegenden Gegenwartsroman geschrieben. Das Buch hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Das liegt an den außergewöhnlichen Schriftstil und an Carly, deren Weg zu sich selbst ich verfolgen darf. Obwohl ich mich hier auf Carly beschränke, sind alle Protagonisten ausreichend charakterisiert.

Carly ist zusammen mit ihrem Bruder Ralph bei Tante Alissa aufgewachsen. Als Kind hatte sie gedacht, dass der Tod unter Tante Alissas Teppich wohnt. Mit Beginn von Carlys Studiums hat sie Professor Sjöberg bald unter seine Fittiche genommen. Und dann gibt es noch Orje. Orje spielt Drehorgel. Ihn kann Carly auch mitten in der Nacht anrufen, wenn ihr danach ist. Er ist ein Freund und wird nie mehr werden. Das weiß er und trotzdem ist er für Carly Halt und Stütze.

Und nun lässt Carly für kurze Zeit alle und alles in Berlin zurück. Thore hat ihr ein fingerlanges Schiff aus Bernstein mit auf die Reise gegeben, eine Reise, die sie eigentlich nie antreten wollte. Grund ist Tante Alissas Angst vor dem Meer, die sie den Kindern vermittelt hat.

In Ahrenshoop taucht Carly tief in die Geschichte des Hauses ein. Henny, die tote Hausbesitzerin, beschäftigt Carlys Gedanken. Hier verzweigt sich der Roman. Neben Carlys gegenwärtigen Leben gibt es Rückblicke in Hennys Geschichte. Gleichzeitig kommen bei Carly Erinnerungen an die verschüttete Kindheit zurück. Sie beantworten die Fragen, die ich mir als Leser gestellt habe. Erst am Ende werden Vergangenheit und Gegenwart wieder zusammengeführt.

Beeindruckend ist die Einheit von Inhalt und Stil. Die herbe und doch besondere Landschaft an der See wird sehr detailliert beschrieben. Das Buch kennt keine Eile. Langsam und behutsam nähert sich Carly ihrem neuen Leben. Ihre Emotionen, ihre inneren Kämpfe , ihre Fragen auf dem Weg zu sich selbst werden berührend und tiefgründig dargestellt. Die Trennung von alten Gewohnheiten braucht Zeit. Treffende Metapher und passende Adjektive malen ein wunderschönes Bild von Land und Leuten. Obiges Zitat zeigt den Punkt der Wende. Mit den kursiv hervorgehobene Teile hat es eine besondere Bewandtnis, den der zukünftige Leser aber selbst herausfinden darf.

Ein geschickt eingesetztes Stilmittel ist der stille Beobachter, ein Komoran.

Das Cover mit dem Haus am Meer passt zur Geschichte.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich durfte nicht nur Carly auf ihren Weg begleiten, sondern auch interessante Entwicklungen der Menschen beobachten, die ihr nahe stehen. Trotz der hohen inneren Spannung ist es ein leises Buch, das bewegt und berührt.