Rezension

Zu viele Logik- und Realismuslöcher

Halligmord - Greta Henning

Halligmord
von Greta Henning

Bewertet mit 3 Sternen

»Ich weiß nicht…«, begann Jörg umständlich. »Ich bin hier auf Nekpen, habe gerade den Johannsens die Post gebracht und wollte dann von dort hinüber zu den Holts gehen. Jedenfalls, während ich so gehe – gestern Nacht war ja ganz schön Wind und die Flut war hoch… Jedenfalls hat die Flut hier wohl was freigespült.« »Aha. Und was?« Eine Flaschenpost, eine Coladose, einen Badeschlappen? Auf Nekpen passierte nie etwas, es gab keinen verschlafeneren Ort an der ganzen nordfriesischen Küste. »Einen Schädel. Von einem Menschen, falls ich das richtig beurteilen kann.«

Die kleine Hallig Nekpen mit ganzen zwei Warften und Höfen und bewohnt von lediglich einer Handvoll Menschen wurde zum Schauplatz eines Kapitalverbrechens. Das ist ja immer schlimm, aber an einem Ort, an dem wirklich jeder jeden kennt, noch beängstigender.

Der Ermittlerin Minke van Hoorn ist das bewusst. Aufgewachsen ist sie auf der Nachbarhallig Midsand, jahrelang war sie dann als Meeresbiologin unterwegs, bevor sie ihr Leben umkrempelte und zur Polizei ging. Ihren ersten Tag als Kommissarin hatte sie sich anders vorgestellt, vielleicht mit einem gestohlenen Fahrrad gerechnet oder einer kleinen Schlägerei zwischen Kneipenbesuchern, ganz sicher aber nicht mit einem Mord. Und als wenn das noch nicht reichen würde, wird kurz danach der Sohn des letzten Deichgrafens entführt.

 

Auf dieses Buch war ich sehr neugierig gewesen. Ich habe eine Schwäche für Küstenkrimis und ich mag ungewöhnliche Charaktere. Eine Meeresbiologin, die auf Kommissarin umschwenkte, passte da perfekt.

Minke wirkte auch sympathisch und die Küstenatmosphäre gefiel mir (trotz Schietwetter) sehr. Die Anlage des Krimis war ebenfalls reizvoll und geradezu klassisch. Ein Mord an einem Ort, wo es fast nie einen Fremden gibt, das versprach eine richtig nette Detektivgeschichte. Speziell zum Ende hin wurde das auch gelungen umgesetzt.

 

Aber! In der Danksagung erklärt die Autorin, dass sie sich in Fragen der Polizeiarbeit »an der ein oder anderen Stelle … nicht strikt an die realen Vorschriften gehalten habe«. Das erscheint mir wie die Untertreibung des Jahres. Ich weiß, vielen anderen Lesern ist Realismus nicht so wichtig. Und natürlich gibt es schriftstellerische Freiheit. Aber bei mir platzten in einer Tour Logikwölkchen. Zwei Beispiele: Der Mord plus die Entführung werden nur durch eine einzige Ermittlerin (Minke) bearbeitet. Ohne Unterstützung bzw. Leitung einer größeren Dienststelle. Und als Rechtsmediziner wird mal eben der Bruder außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs dazu gerufen, sein Untersuchungstempo ist enorm. Ich ertappte mich bei dem Wunschgedanken, dass Minke Meeresbiologin geblieben wäre und einfach neben dem Retten von Heulern (was sie hier auch tut) privat ermitteln würde. Die Vorgehensweise wäre die gleiche gewesen und ich hätte mich weniger geärgert.

Dazu kommen Fehler im Text, die dem Lektorat entgangen sind. Zum Beispiel geschah der Mord mehrfach erwähnt im Jahr 1987, die alten Kriminalakten verlegen ihn aber nach 1989. Ein Ehepaar ist gerade übers Wochenende an die Ostsee gefahren und wenige Seiten später erfährt man, dass es auf Sylt ist.

 

Das Ende erschlug mich dann noch mit einer Wolke von heiler Welt und rosa Zuckerguss. Ich bin sicher, auch das findet viele Freunde. Aber ich werde die Reihe wohl nicht weiterverfolgen.

 

Fazit: Tolle Atmosphäre und Potential in der Handlung, aber zu viele Logik- und Realismuslöcher.