Rezension

Die andere Manege, hinter dem Spiegel

Der Zirkus der Stille - Peter Goldammer

Der Zirkus der Stille
von Peter Goldammer

Zum Inhalt

Unter einem Zirkus der Stille konnte ich mir erst mal nichts vorstellen, da ein Zirkus doch niemals still ist. Das wunderschöne Cover und der Klappentext haben mich dennoch neugierig gemacht.
Thaís Leblanc Eltern sind verstorben. Den Vater hat sie nie kennengelernt. Sie wächst bei ihrer Großmutter auf. "Die unvergleichliche Madame Victoria" nennt man sie. Diesen Titel ziert jedes Zirkusplakat.

Richtig glücklich ist Thaís nicht; kann sie doch mit dem Zirkusleben so gar nichts anfangen. Ihre Großmutter hat ein eigenartiges Wesen und braucht vor jeder Vorführung einen guten Schluck aus dem Flachmann. Erst dann kommt sie mit ihrem Pferd und dem Affen Mister Kismet in Schwung.
Thaís hat vor Kismet richtig Angst. Als er einmal auf ihrer Schulter sitzt, sie kreischend umher läuft, denkt Madame Victoria, ihre Enkelin jauchzt vor Spaß und Freude.
Thaís wird 18 Jahre alt und zieht nach Paris. Weit weg vom Zirkusmief beginnt sie eine Lehre, in einem angesagten Brautmodengeschäft.
Da erhält sie die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter. Madame Victoria hinterlässt ein Testament, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Manege frei, für den letzten Auftritt der "Unvergleichlichen Madame Victoria"!

Meine Meinung

Wenn mir jemand vor zwei Tagen erzählt hätte, dass ich über die Organisation einer Beerdigung lachen würde, hätte ich es nicht geglaubt.
Mit ihrem rostigen Cabriolet fuhr Thaís zum Beerdigungsinstitut Luban in Arles. Zu spät erschien sie in der Rue Ernest zu ihrem Termin.
Jean-Baptiste  ging mit ihr alle Formalitäten durch und erzählte ihr, von dem großen Auftritt, den Madame Victoria in seinem Institut hingelegt hatte. Er musste Madame mit Reitgerte und Kostüm fotografieren, da dieses ihr Leichengewand werden sollte.
Besonders speziell fand ich das Testament, welches der Leichenbestatter Thaíd zeigen musste.
Thaís und Jean-Baptiste haben mir Lachtränen in die Augen gezaubert. Ihre Gespräche über die Verstorbene waren einfach zu köstlich. Birnenschnaps und ein hartgekochtes Ei, erhöhten Thaís Wohlfühlfaktor!
Nicht mehr ganz nüchtern fährt Thaís mit dem Taxi zu der Freundin ihrer Großmutter, um den Schlüssel für deren Haus zu holen. Madame Raphaels herzliche Art machte die Situation für Thaís etwas leichter. Zusammen fuhren sie zu Victorias Haus, mit dem großen Garten. Thaís musste sich ihrer Vergangenheit stellen. Nach und nach kampierten im Garten Wohnwägen. Thaís machte Bekanntschaft mit Cirque perdu. Ein Zirkus ohne Zelt und Tiere! Ein schäbiger Zirkus mit ungewöhnlichen Menschen. Ein Zirkus, der Hinweise auf ihre Familengeschichte barg. Ein Zirkus, der sie auf die Probe stellte. Ein Zirkus der Stille! Ein Zirkus, der sie richtig trauern lehrte!

Fazit

Die warmherzige Geschichte verfügt über eine Magie, die ich noch nie bei einem Zirkus erlebt habe. Die abenteuerlichen Reisen, die Thaís unternimmt, um ihre Familiengeschichte zu ergründen, sind spannend und humorvoll.
Die Menschen, denen sie begegnet, muten schäbig und ohne Manieren an. Trotzdem verfügen sie über ein Wissen, welches Thaís ruhelos macht. Sie möchte erfahren, was diese sonderbaren Menschen mit ihrer Familiengeschichte zu tun haben. Sie möchte wissen, warum all diese Spurensuchen sie mit den eigenartigsten Menschen und Orten zusammenbringt.

Thaís spürt viele Dinge, bevor sie passieren. Diese Fähigkeit war ihr lange Zeit verloren gegangen.

Ich habe mich in dieser Zirkusgeschichte richtig wohlgefühlt. Sie hat alles, was man für pures Lesevergnügen braucht. Eine Familiengeschichte, eine Reise in die Provence, eine Reise in die Vergangenheit, das Spüren der Gegenwart und die Begegnung mit seinem inneren Kind. Wie haben alle unser inneres Kind. Es ist immer präsent. Wir beachten es nur nicht.

Ich habe Thaís sehr gerne begleitet, ihr wahres Ich zu ergründen. Mir haben die schäbigen Menschen gefallen. Sie verfügen über einen Reichtum, den man nicht mit Geld erlangen kann. Der Schreibstil ist einfach nur magisch.

In Zukunft wird ein Zirkusbesuch für mich sehr schwierig werden. Ich will kein Trapez! Ich will keine wilden Tiere. Ich will keine Clowns! Ich will keine Jongleure! Ich will einen Hauch Esoterik!

ICH.WILL.EINEN.ZIRKUS.DER.STILLE!

Ich will die andere Manege, hinter dem Spiegel.

Ob mir das Ende gefallen hat? Klar, wem gefällt Magie nicht? Madame Victorias Geheimnisse konnten mich überraschen.

Danke Peter Goldhammer. Ich habe jedes Wort genossen.

Ach, und eh ich es vergesse: Kismet bedeutet Schicksal!

Mein Dank geht an den Atlantik-Verlag !