Rezension

Die Königin der Orchard Street

Die Königin der Orchard Street - Susan Jane Gilman

Die Königin der Orchard Street
von Susan Jane Gilman

Bewertet mit 4.5 Sternen

Hier ist sie wieder, die alte Geschichte vom großen amerikanischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär, oder wie hier vom hungernden Einwanderer nach ganz weit oben. 

Man hat sie schon oft gelesen, und doch kann man ihr immer wieder neue Facetten abgewinnen. 

Hier ist es zum Einen die weibliche Sicht: Es ist die kleine Malka Treynovsky, mit ihren Eltern Anfang des 20.Jahrhunderts einem Pogrom in ihrer Russischen Heimat nur knapp entgangen, macht sich die Familie auf zu Verwandten nach Südafrika. Doch am Hamburger Hafen aufgehalten, sind die Verheißungen, die von Amerika ausgehen so groß, dass der Vater kurzerhand auf eine Überfahrt nach New York umbucht. 
Dass die Realität in New Yorks Lower East Side ganz anders aussieht und dass die Familie bald ärmer dran ist als in ihrem russischen Stetl, muss sie bald erfahren. Malka schlägt sich mit ihren drei Schwestern mehr schlecht als recht durch, Mutter und Vater bieten wenig liebevolle Umgebung. 
Das wird sehr anschaulich und farbig geschildert. 

Nach einem schweren Unfall mit einem Pferdewagen bleibt Malka behindert und der Besitzer nimmt sie voll Reue in seiner Familie auf. Es ist die italienische Familie Dinello und für Malka ein wahres Glück. Denn sie erfährt hier ein wenig Wohlstand, zögernde Anerkennung, während sich ihr Vater von der Familie trennt, die Mutter in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wird, eine der Schwestern stirbt und die anderen zunächst unauffindbar sind. 
Es ist aber auch der Grundstein für Malkas späteres Leben, denn hier lernt sie alles über die Speiseeiszubereitung, mit der sie in Zukunft eine enorme Karriere durchlaufen wird. 
Mit ihrem Mann Bert gründet sie die erfolgreiche Firma Dunkle´s Ice Cream, wird für lange Zeit Amerikas Eiskremkönigin und sehr reich. 
So ganz wird sie das Elend ihrer Kindheit aber nicht los und auch die Zukunft bringt neben den Höhen auch einige Tiefen. Besonders ihre schroffe, herrische Art bringen ihr nicht nur Sympathien ein, und auch in ihrer Beziehung zu ihrem einzigen Sohn Isaac kommt es zu Spannungen.  

Erzählt wird die Geschichte von Malka, die sich später Lillian Dunkle nennt, als alte Frau. Es sind die Achtziger Jahre, Bert ist tot, das Glück hat sie noch nicht ganz verlassen, aber einige Gerichtstermine, u.a. wegen Steuerhinterziehung stehen ihr bevor. Der Text ist als Erklärungs- und Verteidigungsschrift gedacht, eine Art Rechenschaftsbericht. 
Lillian spricht den Leser direkt an, das ist einerseits frisch und passt zu ihrem knorrigen, starrsinnigen, alles andere als korrekten Charakter, kommt aber im Deutschen durch die häufigen nicht gebräuchlichen Redewendungen "meine Schätzchen" oder "verklagt mich doch" ein wenig ins Holpern. 
Davon abgesehen lesen sich die immerhin 550 Seiten aber frisch, unterhaltsam und humorvoll. Und ganz nebenbei erhält man noch einen Einblick in die Geschichte der Eiskremherstellung. 
Schade ist allerdings, das nur ein paar wenige jiddische Begriffe es auf das Lesezeichen-Glossar geschafft haben. Da wäre ein wenig mehr hilfreich gewesen.