Rezension

Ein absoluter Volltreffer.

Liberty Bell - Johanna Rosen

Liberty Bell
von Johanna Rosen

Irgendwo in den Wäldern Oregon lebt SIE. Frei. Nur sie und die Natur.
Sie lebt völlig zurückgezogen im Einklang mit der Natur in den dichten Wäldern Oregons. In ihrer bescheidenen Behausung kennt sie keinen Luxus wie fließendes Wasser, Gas oder Strom – Autos oder Flugzeuge sind ihr völlig fremd. Und doch ist sie glücklich, denn sie ist frei. Ihre Mutter taufte sie einst Liberty Bell – Freiheitsglocke. Ihre Mutter, das ist eine Erinnerung, die schon lange Zeit zurückliegt und ihr noch immer den schmerzenden Verlust vor Augen hält. Sie hat Liberty Bell immer vor den Gefahren der Schattenwelt gewarnt. Sie kannte diese böse und grausame Welt wie keine andere und wurde nicht müde, ihrer Tochter zu erzählen, dass die Schattenmenschen nicht gut sind. Dass von den Schattenmenschen Gefahr ausgeht. Das junge Mädchen, sie ist mittlerweile 17 Jahre alt, hat alles verinnerlicht, doch sie braucht sich nicht fürchten. Sie lebt sehr besonnen fernab der Schattenwelt von dem, was die Natur ihr gibt.

Derweil zeigt der junge Ronan seinen feixenden Kumpels, darunter Ernesto, das Video eines nackten Mädchens mitten in den Wäldern. Während im ersten Moment die Hormone siegen und die Jungs sich über jede Menge nackter Haut freuen, fragen sie sich bereits im nächsten Moment, was es mit dem Mädchen aus den Wäldern auf sich hat. Daher beschließen sie, ihr einen Besuch abzustatten. Für Liberty Bell bricht eine Welt zusammen. Schattenmenschen sind in ihr Reich eingedrungen und bedrohen ihre heile Welt, nur Ernesto kann sie wirklich trauen. Dabei ahnt niemand, wie real die Bedrohung tatsächlich ist. Das Mädchen wird zum Versuchskaninchen und immer wieder zur Gejagten und Gefangenen der Gesellschaft. Doch etwas Merkwürdiges passiert seit dem Auftauchen des jungen Mädchens: Menschen sterben scheinbar wahllos in Ernestos kleiner Heimatstadt Old Town, während sich alle Welt für Liberty Bell interessiert.

In der Hütte wurde es unterdessen immer dämmriger. Ein Blick auf die Uhr bestätigte es. Schon nach sechs Uhr. – Verdammt. Der Weg zu seinem Beetle würde bestimmt eine Stunde in Anspruch nehmen und dann noch der Hundertzwanzigmeilenrückweg. Aber er konnte im Grunde sowieso nicht gehen, nicht ohne das Mädchen, das hier in der Falle saß. In der Falle, die Jaden und Cal zu verdanken war. – Seite 78 –

Ein Pageturner, der seinesgleichen sucht!
Liberty Bell ist ein spannender Thriller, der nach langer Zeit wieder einmal meine Lust am Rätseln geweckt hat. Bereits die ersten Seiten, die im Jahr 1991 spielen, haben mich gefangen genommen, schockiert und mir das Blut in den Adern gefrieren lassen. Ich konnte dieses Buch überhaupt nicht zur Seite legen. Keine Chance. Kann jemand derart grausam sein? Einen Menschen brechen? Das Liebe nennen? Ich hatte keine Wahl, ich musste herausbekommen, was vor sich gegangen war, blätterte um – und befand mich im Amerika der jüngsten Vergangenheit inmitten einer Horde pubertierender Jungs, die meist nur Spaß und ihre Freiheit im Sinn haben. Zuerst scheinen sie nur eine kleine Gruppe ganz normaler Teenager zu sein, doch schon bald wird deutlich, wie ihr jeweiliger Lebenshintergrund die Charaktere formte und prägte. Bei einigen überraschte mich die Charakterentwicklung und bei anderen bestätigte sich mein Klischeedenken. Existenziell für diese Geschichte ist wohl der junge Ernesto, der Liberty Bell in der Zivilisation zur Seite steht und sich auf eine rührende Art und Weise für sie verantwortlich fühlt. Dass aus ihm trotz seiner Lebensumstände so ein toller Junge wurde, ist für mich eine der bereits erwähnten Überraschungen.

Auf der anderen Seite ist natürlich noch Liberty Bell, die noch so jung und unschuldig, aber zugleich immer auf der Hut ist. Ich mochte ihren Charakter, ihre Ausstrahlung und ihren Freiheitsdrang. Obwohl sie in den Wäldern Oregons aufwuchs und bis zu ihrem 17. Lebensjahr niemals die Zivilisation kennenlernte, ist sie dank ihrer Mutter keine völlig Wilde, sondern für ihre Verhältnisse durchaus gebildet. Und sie ist stark. Sie ist endlich mal wieder eine Protagonistin, die der Welt nach einigem Zögern erhobenen Hauptes entgegentritt und ihr Recht für sich behauptet und nicht hinter ihrem Helden oder Prinzen versteckt. Natürlich lässt der es sich trotzdem nicht nehmen, seine Angebetete zu beschützen. Die Zuneigung und die Herzenswärme, die sich zwischen Ernesto und Liberty Bell entwickelt, kann ich nur als berauschend beschreiben. Sie trägt die Handlung, aber nimmt sie nicht ein und lässt so den vielen anderen Handlungssträngen noch genügend Platz, sich zu entfalten, an der Nase herumzuführen oder einfach zu fesseln. Ich habe tatsächlich nicht die leiseste Kritik. Liberty Bell ist einfach ein Volltreffer!