Rezension

Ein viel(ge)schichtiges Werk

Der Übergang - Justin Cronin

Der Übergang
von Justin Cronin

Bewertet mit 4 Sternen

1000 Seiten sind gerade erst der Anfang

„Der Übergang“ ist trotz seiner 1000 Seiten lediglich der Auftakt einer Trilogie und besteht doch selbst anscheinend aus mehreren Büchern. Die ersten 300 Seiten erzählen sozusagen die Vorgeschichte, den Prolog zu dem Buch, das sich danach auf über 700 Seiten auszubreiten bereitmacht. In einer sehr nahen Zukunft schicken sich Wissenschaftler an, das Geheimnis eines übernatürlich langen Lebens zu lüften. Die Erkenntnisse, die man im Urwald von Bolivien gemacht hat, werden nun auf die nächste Ebene gehoben: Experimente an menschlichen Probanden. Diese sind zwölf zum Tode verurteilte Mörder und Vergewaltiger, deren Verschwinden niemandem auffallen wird. Das Projekt NOAH, wie sich das Experiment ganz dekadent biblisch nennt, schlägt mehr oder weniger fehl: Zwar glückt die Verwandlung dieser Menschen in etwas anderes, Langlebiges, doch das, was hier entsteht, sind unberechenbare Monster, Vampiren ähnlich, die das Blut ihrer Opfer trinken und ihre Krankheit bald über die Welt bringen werden.

„Die Menschheit hatte eine Welt erbaut, die hundert Jahre brauchen würde, um zu sterben. Ein Jahrhundert, bis die letzten Lichter ausgingen.“ (S.421)

Der zweite Teil des Buchs macht einen Sprung um hundert Jahre in die Zukunft. Die Menschheit ist nahezu ausgerottet, die wenigen Überlebenden sind darauf angewiesen, dass die veralteten Akkus die Stromversorgung garantieren, damit das Licht weiterbrennt. Denn das ist das Einzige, was die Menschen des Nachts schützt.

Bei der Lektüre dieses Werkes braucht der Leser einen langen Atem, was nicht nur an den vielen engbedruckten Seiten oder der enormen Zeitspanne, die das Geschehen umfasst, liegt, sondern auch an Cronins Art zu erzählen. Der Übergang vereint sehr viele Figuren und ihre Geschichten und diese werden auch sehr exponiert ausgebreitet, was die Spannung jedoch an vielen Stellen extrem leiden lässt. Der Leser erfährt beispielsweise gleich zu Beginn des zweiten Teils von dem Sachverhalt, dass Peter Jaxon auf der Mauer Totenwache für seinen Bruder Theo hält, der vor sieben Tagen von den Virals – wie man die Monster nennt – getötet wurde, bis man aber in dem Wust an Figuren und ihren Geschichten und Vergangenheiten zum Ereignis „Angriff auf Theo“ kommt, vergehen gut und gerne 100 Seiten. Dies gibt wohl einen ganz guten Einblick in den Stil des Buchs, denn es ist mit nahezu allen Ereignissen so. Der Autor verzögert gekonnt, so lange er kann, und nutzt dabei die Gelegenheit, bestens über die sich vor uns ausbreitende Gesellschaft der Kolonie zu berichten. Stellenweise ein Nervenkrieg für Spannungssuchtis.

Die letzte Kolonie besteht, solange das Licht brennt

Der Vorteil ist dabei jedoch, dass man die Figuren wirklich sehr gut kennenlernt. Schnell wird auch klar, welches Grüppchen man zu den Protagonisten zählen darf. Die neue Lebensweise der Menschen, nun 100 Jahre nach der Apokalypse, wird dem Leser anhand einer beispielhaften Kolonie vor Augen geführt. Das Leben gestaltet sich nach strengen, aber notwenigen Regeln. Solange es keine Zwischenfälle mit den Virals gibt, scheint alles seinen geregelten Gang zu gehen. Doch dieser Frieden ist fragil und hängt am seidenen Faden, denn dieser Zusammenschluss von Menschen kann nur bestehen, wenn die Scheinwerfer die Nacht erhellen und die Monster fernhalten. Doch langsam, aber sicher sind die Akkus erschöpft. Wie schnell und heftig sich verbündete Nachbarn und Freunde gegeneinander richten können, wenn es ums nackte Überleben geht, zeigt Cronin ebenfalls sehr eindringlich in dieser Geschichte, die man fast eine Gesellschaftsstudie nennen könnte. Oftmals geht es auch um die Verwandtschaftsstrukturen innerhalb der Kolonie, wer mit wem wie zusammenhängt, welche Ahnen was gemacht haben, wer damals schon mit wem im Zwist lang. Leider verliert man mit der Zeit irgendwann einfach den Überblick und fragt sich immer öfter, wer dieser und jener nun gleich gewesen ist. Hatte der nicht mit ihm irgendeine Beziehung? Ach nein, das war ja der … so geht es munter weiter. Eine Übersicht am Ende des Buchs oder so etwas wie ein Stammbaum wäre wahrlich hilfreich für den Leser gewesen.

„Die Zeit teilte sich vor ihr wie die Wellen an einem Pier. Sie zog an ihr vorbei, aber Amy blieb dieselbe.“ (S.340)

Der Dreh- und Angelpunkt von allem ist jedoch ein kleines Mädchen: Amy Harper Bellafonte. Dies macht der Autor gleich auf Seite eins klar, denn sie ist der einzige Mensch, bei dem das Experiment geglückt ist. Amy ist infiziert, hat eine extrem erweiterte Lebensspanne, ist jedoch nicht zu einem blutrünstigen Monster mutiert. Sie ist so etwas wie der Messias in dieser Geschichte, und als sie in der Kolonie auftaucht, gewinnt die Handlung Fahrt. Sie entwickelt sich zu einem gefährlichen Road Trip zu dem Ort, wo alles begann.

Zusammengehalten werden diese tausend Figuren und Geschichten von dem sehr ausgefeilten, metaphorischen Schreibstil Cronins. Dass biblische Motivik in diesem Roman sehr stark eingesetzt wird, ist gelinde gesagt unübersehbar, verleiht dem Ganzen aber doch etwas Mystisches. Jedoch bleibt es nicht beim Verweis. Im Erzählstil von Justin Cronin fällt immer wieder der biblisch anmutende Ton auf, der besonders in den Passagen über die Zwölf zum Tragen kommt.

„Er war gemacht aus den Vielen. Tausend mal tausend mal tausend, wie die Sterne verstreut über den Nachthimmel. Er war einer der Zwölf und auch der Andere, Zero, aber seine Kinder waren auch in ihm, sie, die die Saat seines Blutes in sich trugen, die Saat der Zwölf.“ (S.762)

Fazit

Man könnte Der Übergang von Justin Cronin als sehr viel(ge)schichtiges Werk bezeichnen, das eine wirklich grausige Apokalypse beschreibt – oder besser: die Gesellschaft, die am Ende geblieben ist. Diese Geschichte ist interessant und man möchte die ganze Zeit über wissen, was noch passiert, wohin uns der Autor noch führt. Allerdings wird dem spannungsverliebten Leser einiges an Geduld abverlangt. Cronin hält ihn nicht 1000 Seiten lang in atemloser Spannung, sondern wirft ihm eher immer mal wieder einen Happen hin, der ihn bei der Stange halten soll. Wer den Atem für solche Bücher besitzt und Gesellschaftsromane liebt, wird mit einer interessanten Geschichte belohnt werden. Wen diese Art zu schreiben jedoch schon zu Beginn nervt und langweilt, der sollte seine Zeit einem anderen Werk widmen, denn: Es wird sich nicht verändern!