Rezension

Gesellschaftskritischer Thriller ohne viel Thrill

Der Verrat - Val McDermid

Der Verrat
von Val McDermid

Pro:
Im Zentrum der Geschichte stehen zwei Freundinnen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: die gebildete Ghostwriterin Stephanie und das vulgäre Reality-TV-Sternchen Scarlett. Sich Scarlett vorzustellen, ist nicht schwer - man muss sich nur RTL und Co anschauen, um genau diesen Typ C-Promi präsentiert zu bekommen: dumm, dreist, raffgierig, oberflächlich... Menschen, die man sich mit unverhohlenem Voyeurismus anschauen kann, um sich dann zufrieden zu denken, dass man selber Gott sei Dank nicht so ist.

Obwohl ich wenig für diese Art von Reality-TV übrig habe, fand ich den (fiktiven) Blick hinter die Kulissen doch sehr interessant. Da hat die Autorin eine gute Dosis Gesellschaftskritik unterhaltsam verpackt. Die Passagen, in denen es um Scarlett und ihr Leben ging, habe ich geradezu verschlungen, und da war es mir dann auch egal, dass der Thriller-Aspekt oft in Vergessenheit geriet (s. "Kontra").

Die ganz große Leistung, die Val McDermid in diesem Roman vollbringt: sie schafft es, einem Scarlett trotz Allem wirklich ans Herz wachsen zu lassen. Nach und nach erfährt man, aus was für einem deprimierenden Milieu sie stammt, und man kann es ihr kaum verübeln, dass ihr jedes Mittel recht ist, da raus zu kommen und mehr aus ihrem Leben zu machen. Und es steckt weitaus mehr hinter der Fassade, die sie der Welt präsentiert, nämlich eine intelligente, entschlossene junge Frau. Ich habe mehr mit Scarlett mitgefiebert und mitgelitten als mit jeder anderen Person in diesem Buch.

Auch die meisten anderen Charaktere werden ansprechend und einnehmend geschildert, so dass man schnell das Gefühl bekommt, hier echte, dreidimensionale Menschen vor sich zu haben - mal sympathisch, mal das genaue Gegenteil.

Die Spannung geht in den langsameren Passagen oft verloren, aber die Handlung ist dennoch interessant verwickelt, voller überraschender Wendungen und definitiv originell und unverbraucht. Ich habe mich auch in den Kapiteln, in denen die Ermittlungen rund um die Entführung kein Stück weiter kommen, wunderbar unterhalten gefühlt.

Kontra:
Ich habe "Der Verrat" im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks gelesen, und was von diversen Teilnehmern mehrfach angesprochen wurde: dieses Buch ist (größtenteils) kein Thriller. Mir kam es vor, als würden hier verschiedene Genres wenig schlüssig miteinander verbunden - als hätte man aus drei Puzzlen ein einziges Gesamtbild zusammengesetzt, und zwar mit dem Hammer. Anfang und Ende bieten durchaus Thriller-Spannung, dazwischen gibt es lange, ruhig dahinplätschernde Passagen, die ich eher einem Frauenroman zuordnen würde, sowie emotional intensive Kapitel, die man nur als Drama bezeichnen kann.

Nicht, dass das Ergebnis wirklich schlecht wäre - vieles davon habe ich sehr gerne gelesen, wie oben schon erwähnt! Aber die Vermarktung des Buches als Thriller erweckt einfach falsche Erwartungen, von denen nur wenige erfüllt werden. Wenn man sich davon lesen kann, bietet der Roman aber durchaus unterhaltsame Stunden.

Im Mittelpunkt des Buches steht meist Stephanie Harker, da sie uns den Großteil der Geschichte erzählt. Am Anfang, als ihr Adoptivsohn Jimmy entführt wird, reagiert sie mit wildem Entsetzen und lautstarker Wut, und es gibt auch noch andere Szenen, in denen man ihre Gefühle intensiv und unmittelbar mitbekommt - aber in weiten Strecken wirkte sie auf mich seltsam distanziert und ich konnte ihre Emotionen nicht wirklich nachempfinden, was es für mich schwierig machte, in die Geschichte einzutauchen. Besonders am Ende ließ mich das Geschehen dadurch eher kalt.

Das Ende hat bei mir ohnehin ernüchterte Enttäuschung zurückgelassen. Zum Einen habe ich es nach nicht einmal der Hälte des Buches vorhergesehen, zum Anderen hat es mir im Nachhinein genau das an dem Buch verleidet, was ich am Meisten mochte. Mehr kann ich nicht dazu sagen, ohne zuviel zu verraten!

Die Übersetzung des Romans erschien mir im Großen und Ganzen nicht sehr gut gelungen. Viele Sätze wirken steif, sperrig oder unangebracht förmlich, und ich hatte den Eindruck, dass die Satzstellung oft beinahe 1:1 aus dem Englischen übernommen wurde. Manche machen im Deutschen sogar wenig Sinn, weil man es so einfach nicht sagen würde.

Das Cover ist ein typisches Thriller-Cover und passt damit überhaupt nicht zum Buch... Auch hier werden wieder die völlig falschen Erwartungen geweckt.

Zusammenfassung:
Wenn das Ende nicht wäre, hätte mich das Buch trotz aller Schwächen richtig begeistert... Ich habe mich einen Großteil des Buches gut unterhalten gefühlt, aber jetzt, wo ich es fertig gelesen habe, würde ich es meinen Freunden leider nicht weiterempfehlen.