Rezension

Sklaven und Menschenrechte

Underground Railroad
von Colson Whitehead

 

Sie besitzt nichts und hat keinerlei Rechte, nicht einmal über ihre eigene Person darf sie bestimmen: Cora lebt als Sklavin in dritter Generation auf der Randall-Farm in Georgia. Ihr Alltag ist geprägt von harter Arbeit auf den Baumwollfeldern, Gewalt, Furcht. Doch das junge Mädchen ist stark, die Misshandlungen haben sie noch nicht gebrochen. Und so vertraut ihr der Leidensgenosse Caesar einen Fluchtplan an, um gemeinsam ihrem trostlosen Dasein zu entkommen. Eines Tages ist es wirklich soweit; gemeinsam mit ihrer Freundin Lovey und Caesar gelingt ihr die Flucht. Es wird ein langer, gefährlicher Weg in die Freiheit, den nur einer von ihnen überlebt.

Beeindruckend realistisch schildert Colson Whitehead das Martyrium der Sklaven auf den Plantagen. Erschreckend wirkt die Denkweise eines Großteils weißer Zeitgenossen Coras; die weiße „Herrenrasse“, ihre Auslegung der Menschenrechte (festgelegt 1776 in den  „Virginia Bill of Rights“) und die Rechte, die sie für sich selbst daraus ableiten, befremden uns. Auf mitreißende Art versteht es der Autor, den Leser in Coras Geschichte zu verwickeln und ihn auf ihre entbehrungsreiche und gefahrvolle Flucht mitzunehmen. Er hat ihr Schicksal, eingebunden in die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Mitte des 19. Jahrhunderts, überzeugend und authentisch ausgearbeitet. Der Roman wirkt „rund“.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Arbeit der „Underground Railroad“, eines gut organisierten Netzwerkes von Fluchthelfern für entlaufene Negersklaven, das bis 1865 erfolgreich funktionierte, als imposante menschliche Leistung; denn auch die Helfer setzten ihr Leben aufs Spiel, wenn sie als solche erkannt oder denunziert wurden. Der Name „Underground Railroad“ diente als Symbol; die Helfer agierten unter Decknamen wie „Stationsvorsteher“ oder „Schaffner“, die seit Bestehen der ersten Eisenbahnlinien aus diesem Bereich entlehnt  wurden. Doch der Autor lässt die „Underground Railroad“ wortwörtlich,  als tatsächliche Maschinerie, existieren in einer Zeit, in der an eine echte Untergrundbahn, wie wir sie heute kennen, noch gar nicht zu denken war. Ich habe sie als eine Art Verfremdungseffekt verstanden, der das Thema des Romans aus seinem historischen Kontext löst und zeitübergreifend werden lässt; Vergleiche zu früheren Ereignissen, aber auch zu ganz aktuellen Thematiken werden herauf beschworen. Die Verfolgung und Entrechtung von Menschen, Rassismus, Ausbeutung, Folter gehören leider nicht nur der Vergangenheit an. Überall in unserer modernen Welt finden sich Beispiele.

Ein anspruchsvolles Buch, das den Leser aufrüttelt und dem Leid Verfolgter in der Welt wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lässt.