Rezension

Spannender Weg zu den eigenen Wurzeln

Wo bist du, Motek? - Ilan Goren

Wo bist du, Motek?
von Ilan Goren

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Israeli in Berlin

Der Autor Ilan Goren ist Kind einer Mutter, die zeitlebens ihrem Sohn vom fernen Berlin vorschwärmte und versuchte, ihm deutsche Tugenden beizubringen. Nach dem Tod seiner Mutter kommt er zu dem Entschluss, in Deutschland nach seinen Wurzeln zu graben und er übernimmt für 1 Jahr den Job eines Auslandskorrespondenten in Berlin für den israelischen Fernseh-Sender Channel 10. 

Was nun folgt ist eine ansprechende Mischung aus Suche nach der Geschichte seiner Vorfahren und eigenen Erfahrungen im heutigen Berlin. Goren bekommt eine Kiste mit Habseligkeiten seiner verstorbenen Großmutter, die schon lange wieder in Deutschland lebte, geschickt. U. a. eine Art Notizbuch seines Urgroßvaters. Seine Mutter hasste ihre Mutter, hat jedoch nie verstanden, dies ihrem Sohn zu erklären. Sicher einer der Gründe, warum Ilan auf die Suche gegangen ist. 

Sehr spannend fand ich, sozusagen mit ihm gemeinsam in diesem Notizbuch zu lesen und die Geschichte seines  Urgroßvaters zu erfahren, wie er vor fast 100 Jahren in Deutschland angekommen ist und wie es ihm erging. Im Verlauf findet ein steter Wechsel statt zwischen Notizbuch und eigenem Erleben, das oft genug absurd erscheint - nicht zuletzt wegen der etwas sonderbaren Bekanntschaften, die Goren im modernen Berlin macht.

Immer klarer wird, dass es eigentlich kaum deutsche Wurzeln gibt, die er finden könnte und dass der Unterschied zwischen ihm und seinem Urgroßvater gar nicht so fürchterlich groß ist. Letzen Endes waren beide Emigranten in einem fremden Land und fühlten sich zu Beginn verloren in der fremden Welt. Nur das seine Vorfahren leider nicht die Möglichkeit hatten, ihr Leben konstant in Berlin aufzubauen. Obwohl sein Urgroßvater beste Voraussetzungen und eine gute Stellung inne hatte. Gott sei Dank zog seine Familie nach dessen politisch begründeter Entlassung die richtigen Schlüsse und wanderte rechtzeitig aus. Wenngleich dies durch einen spielerischen Zufall ausgelöst wurde. Wer weiß, ob es Ilan sonst heute geben würde?

Insgesamt finde ich das Buch wirklich bemerkens- und lesenswert. Ohne jede Anklage oder Schuldzuweisung bzw. überhaupt Suche danach. Der Schreibstil ist unaufdringlich, amüsant die Erinnerungen an die eigene Kindheit, die Formulierungen leicht und etwas frech, alles in allem mit einer guten Portion Humor ausgestattet. Da mich das deutsch-jüdische Verhältnis schon seit Jahrzehnten interessiert, hat gerade dieses Buch für mich einen besonderen Stellenwert. Meine Erkenntnis ist: Junge Israelis von heute gehen mit jungen Deutschen von heute recht ungezwungen und normal um. Das hat mich wirklich sehr gefreut! Übrigens ist er nicht wieder zurück nach Tel Aviv gegangen.