Rezension

Faszinierende, anstrengende und aufrüttelnde Lektüre!

Das Lied des Propheten -

Das Lied des Propheten
von Paul Lynch

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser Roman hat mich sprachlos gemacht.  Ist die Szenerie doch mittlerweile so nah. Und genau das will der Autor David Lynch sicherlich bewirken: dass wir uns bewusst werden, schmerzhaft bewusst, wie schnell sich das Blatt wenden kann.

In Nordirland ist der Roman angesiedelt, dort ist mittlerweile die nationalistische Partei NAP ans Ruder gekommen. Mit Notverordnungen & Geheimpolizei  wird geltendes Recht leicht ausgehebelt und das Land findet sich in einer handfesten Diktatur wieder. Innerhalb kurzer Zeit „verschwinden“ Menschen, die anders denken und für ihr Recht einstehen. Darunter auch Larry, der Ehemann von Eilish, der in der Lehrergewerkschaft als  stellvertretender Generalsekretär sehr aktiv ist und sich nicht mundtot machen lässt.

Über Nacht ist die Wissenschaftlerin Eilish allein mit ihren 4 Kindern – der Kleinste ist gerade mal ein halbes Jahr alt. Der Große soll in die Armee eingezogen werden. Spätestens,  als er sich weigert und sich heimlich den Rebellen anschließt, wird die Familie heftig schikaniert.  Eilish verliert den Job, bangt um ihren abgetauchten Sohn, hofft auf die Rückkehr von Larry und hat überdies noch einen dementen Vater, der ein paar Straßen weiter lebt und um den sie sich kümmern muss.  Die Schulen werden geschlossen, Lebensmittel werden immer knapper und schon sehr bald gibt es grausame Gefechte mitten in der Stadt, auch in der Straße von Eilish und ihrer Familie.

Eilishs Schwester lebt im Ausland und hat sie bereits zu Beginn dieser furchtbaren Entwicklungen gedrängt, mit ihrer Hilfe das Land zu verlassen. Doch Eilish will ihre Heimat nicht so schnell aufgeben. Sie ist hin und her gerissen. Nicht zuletzt, weil sie da sein will, wenn ihr Sohn und ihr Mann eines Tages wieder nach Hause kommen. Weil sich noch nicht die Gewissheit einstellen will, dass alles nur noch schlimmer wird. Ich kann mich in diese Mutter absolut hineinversetzen und überlege unweigerlich, ob ich anders handeln würde. Wahrscheinlich nicht. Ich verstehe ihre Beweggründe und Zweifel zu hundert Prozent.

Lynch beschreibt diese Entwicklung unglaublich intensiv. Nicht zuletzt durch eine ganz besondere Sprache voller poetischer Sprachbilder,  langer Sätze und ohne Kennzeichnung von direkter Rede. Ich muss teilweise Sätze und Abschnitte zweimal durchlesen, um alles zu erfassen.  Das führt dazu, dass ich das Lesetempo sehr runterschraube. Aber auch die Kette an furchtbaren Ereignissen lassen mich immer mal wieder eine Pause einlegen um zu verarbeiten. Ich glaube, dass der Autor genau dies bezweckt. Durch ein Innehalten und Langsamlesen wird die Lektüre intensiver, dringt in jede Pore und zieht mich mit hinein in diese tragische Geschichte, die doch gar nicht mehr so unrealistisch und dystopisch erscheint. Und genau das soll mir bewusst gemacht werden.

Mich persönlich hat die Lektüre angestrengt, fasziniert, gefesselt und unheimlich traurig gemacht. An so vielen Orten erleben Menschen genau jetzt genau dieses Szenario. Nur die absolut Verzweifelten entscheiden sich zur Flucht - so auch letztendlich Eilish im Roman, als es für sie nicht mehr geht. Aber selbst solch eine Flucht ist gefährlich und kann schiefgehen…

Wow, der Roman hat mich regelrecht weggefegt! Prädikat: wertvoll!