Rezension

Tiefgründig und bewegend, aber dennoch humorvoll und aufbauend

Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry - Rachel Joyce

Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry
von Rachel Joyce

Bewertet mit 5 Sternen

★♡★♡★♡★♡★

Als Harold Fry Queenie per Brief mitteilt, dass er zu ihr laufen wird und sie durchhalten soll, fängt Queenie Hennessy an, ihm einen Brief zu schreiben. In diesem sehr langen Brief will sie ihm eigentlich nur zwei Dinge sagen, aber es fällt ihr nicht leicht. Deshalb wächst er immer mehr und sie erzählt darin ihre Lebensgeschichte vom dem Tag an, an dem sie Harold das erste Mal begegnet ist.

 

Eine Rezension dazu zu schreiben, ohne zu viel vom Inhalt zu verraten, ist nicht leicht. Der Leser begleitet Queenie durch zwanzig Jahre, erfährt von ihrer Liebe zu Harold und ihren Schuldgefühlen. Man darf ihren Garten am Meeer besuchen und mit ihr auch die humorvollen Momente in einem Hospiz miterleben. Aber man verabschiedet sich auch immer wieder von anderen Patienten.

 

Wie kann ein solches Buch dann schön sein? Ich kann es nicht erklären. Man muss es einfach lesen, sich darauf einlassen und nichts erwarten, aber vieles bekommen. Rachel Joyce hat es geschafft, die Gedanken und Gefühle einer sterbenden Frau zu Papier zu bringen. Einer Frau, die unter starken Medikamenten steht. Vielleicht muss man jemanden Nahestehenden auf ähnliche Weise verloren haben, um zu sehen, wie großartig das ist und die verworrenen Momente auch verstehen zu können. Vielleicht macht das für andere keinen Sinn. Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nur, dass mich dieses Buch unendlich tief berührt hat und ich sehr oft eine länger Pause eingelegt habe, weil ich nicht wollte, dass es zu Ende geht – in jeder Hinsicht.

 

Mir gefällt der Stil von Rachel Joyce sehr gut. Ihre Bücher haben alle diesen leisen, melancholischen Unterton, ohne depressiv zu wirken. Auch schafft sie es immer wieder, mit ihren Worten in noch so traurigen Situationen Hoffnung aufzuzeigen. Jeder einzelne Satz ist ein kleines Kunstwerk, denn zu jedem Protagonisten findet sie die passende Sprache, die perfekte Beschreibung und das exakte Gefühl. Immer wieder tauchen Anregungen auf, die zunächst atemlos machen, aber wirklich gute Gedanken sind. Wer mag schon gern seine eigene Beerdigung planen? Eigentlich niemand. Aber warum denn nicht, wenn man in einem Hospiz ist – also weiß, dass der Tod näher als das Leben ist? Was ist so schlimm daran, selbst die Lieder auszuwählen? Ich denke, im Grunde bringt das ein wenig Frieden in die Seele. Aber natürlich stutzt man bei der Vorstellung. Doch Rachel Joyce zeigt uns, dass es gut und richtig ist. Außerdem zeigt sie uns immer wieder, dass nicht immer das das Richtige ist, was man zunächst annimmt. Es gibt einfach keine Schablone für das Leben.

 

Für mich ist dieses Buch ein Highlight des Jahres. So liebevoll und voller kleiner, besonderer Weisheiten für das ganze Leben. Und auch für das Sterben. Das finde ich fast noch wichtiger.

 

Volle fünf Sterne – alles andere wäre falsch!

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