Rezension

Bienenlektionen

Der Honigbus - Meredith May

Der Honigbus
von Meredith May

Bewertet mit 5 Sternen

Meredith May ist Imkerin in fünfter Generation und hat mit 'Der Honigbus' ihrem Großvater, durch den sie zu den intelligenten Insekten fand, ein Denkmal gesetzt. Das Buch stellt ihre Biographie dar, beschreibt aber in der Tat hauptsächlich die prägenden Jahre ihrer Kindheit und Jugend, nachdem sie mit Mutter und Bruder den Vater verließ, um bei den Großeltern an der kalifornischen Küste zu leben. 

Meredith May hat es wahrlich nicht leicht gehabt. Die Mutter war psychisch schwer krank und hat die Kinder nach dem Umzug zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater (für Meredith jedoch ihr Grandpa) entweder ignoriert oder in einer Art und Weise behandelt, die gut und gerne als Misshandlung bezeichnet werden kann. Leider war die Großmutter immer auf der Seite der Mutter und so blieb Meredith nur die Zuwendung zu ihrem (Stief-)Großvater, der sie jedoch mit seinem Honigbus und seinen Bienenstöcken zu interessieren wusste. 

In ihrem Buch hat die Autorin nun die Beobachtungen, die sie in den Jahren an den Bienenvölkern ihres Großvaters gemacht hat gepaart mit den Erfahrungen, die sie auf dem Weg zum Erwachsenwerden durchleben musste. So unterschreibt sie dann auch jedes Kapitel ihrer Biographie mit 'Eine Bienenlektion in...'. Und diese Lektionen umfassen Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen, die den Menschen Meredith geprägt haben, z.B. Umweltschutz, Einfallsreichtum, Fliegen lernen, Empathie und Hinterlassenschaften. Wer diese Lektionen aufsummiert, erhält vermeintlich ein ziemlich umfassendes Bild der Charakterbeschaffenheit der Autorin. Technisch bzw. struktureller empfinde ich das als einen ganz besonderen Kniff des Buches, der mir die Autorin sehr an Herz wachsen lässt. Immer wieder schafft sie es zudem, den Leser vergessen zu lassen, dass es sich um ihre Biographie handelt. Die Schilderungen sind so eindrücklich, dass 'Der Honigbus' es locker mit großen Romanen aufnehmen kann, man möchte darin versinken, interpretieren und mitfiebern und vergisst, dass es sich schlicht um Tatsachenschilderungen handelt. Wobei 'schlicht' hier nun wirklich der Intensität der Schilderungen keinesfalls angemessen ist. 

Obwohl das Thema Bienen in den letzten Jahren in der Literatur immer präsenter wird und unter anderem ja auch Maja Lunde mit ihrer 'Geschichte der Bienen' zumindest dem Titel nach einen tiefen Einblick in das Leben der Honigsammler vermittelte, erfährt der Leser im Buch von Meredith May viele neue Fakten über Bienen, die noch dazu aus der Sicht eines begeisterten Kindes geschildert werden und so eine unbeschreiblich wirkungsvolle Faszination auf den Leser ausüben. Man ist ständig drauf und dran, nach draußen zu streben und Bienen zu suchen, um Merediths Beobachtungen nachzuempfinden. Der Leser kann, trotz der schrecklichen Verhältnisse, in denen die Autorin aufwuchs, so auf jeden Fall nachempfinden, warum sie behauptet, dass ihr Großvater mit seinen Bienen ihr das Leben gerettet hat. 

Und er hat seine Sache gut gemacht. Denn jemand, der ein solches Buch schreibt, ist nicht depressiv, traurig oder traumatisiert, wie man bei Merediths Vergangenheit fast erwarten würde, sondern ein starker Charakter, der moralische Grundwerte hat, an denen er sich orientiert und der sich und seinen Wert kennt und ihn in seiner Familie und deren Geschichte einzuordnen weiß. Eine fleißige Biene, die zum Wohle ihrer Lieben und sich selbst die richtigen Entscheidungen getroffen hat, schweres Arbeiten nicht scheut, Schwierigkeiten gemeistert und ein robustes Grundgerüst für ein süßes Leben geschaffen hat. 

Ein bewegendes und motivierendes Buch. Highlight!