Rezension

Das Schicksal des Eifeldorfes Wollseifen

Ginsterhöhe -

Ginsterhöhe
von Anna-Maria Caspari

Bewertet mit 5 Sternen

1919 Eifel. Albert Lintermann kehrt aus dem ersten Weltkrieg als schwer gezeichneter Mann zurück auf seinen Hof im kleinen Eifeldörfchen Wollseifen. Eine Granate hat sein Gesicht schwer entstellt, so dass seine Frau Bertha sich regelrecht vor ihm ekelt und ihn kaum ansehen kann. Albert jedoch ist nur froh, noch am Leben zu sein, und widmet sich nicht nur mit viel Fleiß und neuen Ideen der Arbeit auf dem Hof, sondern bringt sich immer mehr in die Dorfgemeinschaft ein, wobei er von Leni, der Verlobten seines im Krieg gefallenen Freundes Hannes, viel Unterstützung erhält. Eine Rekonstruktion seines Gesichts lässt Albert wieder selbstsicherer werden, die alten Wunden langsam verheilen und das Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen, auch wenn die Inflation den Menschen arg zu schaffen macht. Das alles endet abrupt, als die Nationalsozialisten Wollseifen vereinnahmen und ihre großspurigen Pläne das Ende des Dorfes ankündigen…

Anna-Maria Caspari hat mit „Ginsterhöhe“ einen beeindruckenden historischen Roman vorgelegt, dessen gekonnter Mix aus Realität und Fiktion auf wahren Begebenheiten und Aussagen von Zeitzeugen beruht. Der flüssige, farbenfrohe und empathische Erzählstil saugt den Leser regelrecht in die Geschichte hinein und katapultiert ihn ins vergangene Jahrhundert, wo ihm die Handlung über einen Zeitraum von 30 Jahren präsentiert wird. Dort erlebt er nicht nur die Rückkehr des geschundenen Albert Lintermann hautnah mit, sondern auch die Veränderungen, die sowohl das Dorf Wollseifen als auch seine Bewohner betreffen. Gekonnt legt die Autorin Alberts innere Zerrissenheit dem Leser offen, aber auch Berthas Widerwillen gegenüber ihrem Ehemann wird realistisch geschildert. Interessant ist die Tatsache, dass man sich zur damaligen Zeit schon an Gesichtsrekonstruktionen gewagt hat, die Albert danach wieder ein erfülltes Leben ermöglichten. Der historische Hintergrund wurde exzellent recherchiert und mit der Handlung verwebt. Einmal mehr wird deutlich, welch hinterhältige Fratze die Nationalsozialisten an den Tag legten, um ihre hochfliegenden, wahnsinnigen Pläne durchzusetzen. Ganze Ortschaften und deren Bewohner waren ihnen bei der Umsetzung völlig egal. Die Autorin zeichnet ein Bild von fleißigen Menschen, die sich von Schicksalsschlägen nicht unterkriegen lassen und tapfer jeden Tag erneut mit harter Arbeit für ihre Familien den Lebensunterhalt erkämpfen. Dabei bietet sie dem Leser ein Zeitzeugnis, dass dieser durch ihre bildhaften Beschreibungen während der Lektüre regelrecht vor Augen hat. Die Aufzeichnungen des Dorflehrers Martin Faßbender untermalen noch zusätzlich die realitätsnahe Handlung mit gesellschaftlichen und politischen Ereignissen der damaligen Zeit.

Die Charaktere sind lebendig gezeichnet und in Szene gesetzt, ihre authentischen menschlichen Eigenschaften machen es dem Leser leicht, ihrem Schicksal zu folgen. Albert ist ein starker und mutiger Mann, der sich ins Leben zurückkämpft und nie aufgibt, obwohl das Schicksal ihm immer wieder ein Bein stellt. Johann Meller ist ein Kotzbrocken, der über Leichen geht, wenn er darin einen Vorteil sieht. Leni ist eine liebevolle Frau mit großem Herzen. Silvio ist Albert ein wahrer Freund in allen Lebenslagen. Aber auch Maria, Bertha und weitere Protagonisten dürfen in dieser Geschichte auf keinen Fall fehlen.

„Ginsterhöhe“ ist mit seiner Mischung als realer Historie und fiktiver Familiengeschichte ein wahres Meisterwerk zeitgenössischer Geschichte, die der Leser während der Lektüre hautnah miterlebt. Schicksalsschläge, Freundschaft, Spannung, Verrat sowie das gesamte Emotionsbarometer werden dem Leser hier geboten. Absolute Leseempfehlung für einen Roman, der keine Wünsche offen lässt!