Rezension

Die Emotionale Geschichte der Zugkinder

Der Zug der Waisen - Christina Baker Kline

Der Zug der Waisen
von Christina Baker Kline

Bewertet mit 5 Sternen

Vivian Daly, Tochter irischer Einwanderer, verliert bei einem Wohnungsbrand in New York, 1929, ihre gesamte Familie. Zusammen mit anderen Waisen wir sie in einen Zug, der in den Mittleren Westen fährt, verfrachtet. Auf dem Land sollen die Kinder ein neues Zuhause finden. Doch die Reise geht ins Ungewisse, nur wenige erwartet ein liebevolles Heim. Auch Vivian stehen einige Bewährungsproben bevor. Erst nach vielen Jahrzehnten, mit 91 Jahren, bekommt sie die Chance, bei der Begegnung mit der rebellischen Molly, das Schweigen zu brechen.

„Man nennt dies einen Waisenzug, Kinder, und ihr habt Glück, dass ihr mitfahren dürft.“ (S. 45)

Meinung

Schreibstil

Christina Baker Kline konnte mich vom ersten Satz im Prolog an fesseln und berühren. Der Schreibstil ist emotional und tiefgründig, übertreibt aber nicht mit unnötigen Ausschmückungen. Sie fasst die Stimmung und Schicksale der Waisenkinder sehr bewegend auf und spart dabei nicht, die Dinge knallhart zu schildern. Einfach ein wirklich toller Schreibstil, der mir in Erinnerung bleiben wird.

„Ich glaube an Geister. Sie sind es, die uns verfolgen, die uns allein zurückgelassen haben. […] Die Geister redeten mir zu, sie flüsterten, ich solle weitermachen.“ (S. 10)

Geschichte  und Charaktere

Christina Baker Kline erzählt eine Geschichte, die nah an der Realität dran ist. Vivian Daly ist die Tochter irischer Einwanderer und gerade mal neun Jahre alt, als sie ihre Familie bei einem Wohnungsbrand in New York verliert. Sie wird gemeinsam mit vielen anderen Waisenkindern in einen Zug verfrachtet. Er fährt in den Westen und soll die Kinder zu Familien bringen, die ihnen eine Chance auf ein behütetes Leben geben. Doch der Schein trügt, denn längst nicht alle, meist sogar ein Großteil der Kinder, kommt in eine liebendes, behütetes Zuhause. Für viele Familien sind die Kinder eine billiger Arbeitskraft – auf der Farm, im Haushalt, als Näherin. Viele leben in erbärmlichen Verhältnissen und müssen, ebenso wie Vivian, vieles in ihren so frühen Jahren durchmachen.

Besonders berührt hat mich die Geschichte, weil es diesen „Orphan Train“, wie er wirklich heißt und Schicksale, wie das von Vivian, tatsächlich gab. Beim Lesen spürte ich, wie sehr Christina Baker Kline mit den noch lebenden Zugkindern für ihre Recherche in Berührung war. Vivians Schicksal ging unter die Haut und hat mich emotional mitgenommen. Nicht nur, weil sie vermutlich mehr durchgemacht hatte, als viele in ihrem gesamten Leben, und das bevor sie überhaupt 15 Jahre alt war. Sondern auch, weil sie trotz allem nie ihren Mut verloren hat und sich durchkämpfte.

„Ich lernte weiterzumachen und auszusehen wie jeder andere, auch wenn ich mich innerlich zerbrochen fühlte.” (S. 144)

Vivian ist ein sehr starker, authentischer und lebensnaher Charakter, die wir als Frau mit 91 Jahren treffen und erzählt bekommen, wie sie ihre Kindheit verleben musste. Und auch Molly, 17 Jahre alt, ist ein ebenso vielschichtiger und realitätsnaher Charakter, mit der man mitfühlt. Molly hat ein ähnliches Schicksal wie Vivian, ebenfalls quasi eine Waise. Durch Zufall stolpert sie in Vivians Leben und beide entwickeln eine ungewöhnliche Freundschaft. Endlich kann Vivian ihr Schweigen brechen und all die schlechten aber auch guten Erinnerungen mit jemandem teilen. Die beiden geben sich Stärke und Mut und stützen einander.

„Es ist ein angenehmer Ort zum Heimkommen. Ein Zuhause.“ (S. 246)

Fazit

Christina Baker Kline konnte mich mit „Der Zug der Waisen“ mit allen Aspekten vollkommen überzeugen. Vom ersten Satz an war ich an das Buch gefesselt und wurde emotional berührt. Vivian und Molly sind zwei authentische, vielschichtige, liebenswerte und starke Charaktere. Beide durch ein trauriges, aber leider sehr reales Schicksal verbunden. Die Geschichte konnte mich mit jedem Wort bewegen und verdient volle fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung.