Rezension

Zwei Leben - zwei Zeiten - ein Weg

Der Zug der Waisen - Christina Baker Kline

Der Zug der Waisen
von Christina Baker Kline

Bewertet mit 5 Sternen

Können sich Menschen, die in einer intakten Familie aufgewachsen sind, vorstellen wie schlimm es sein muss als Waise aufzuwachsen? Niemanden zu haben, dem man sich zugehörig fühlt, immer nur von einer Pflegefamilie zur nächsten weitergereicht zu werden? Sicherlich nicht. Umso wichtiger finde ich diesen Roman. Denn er erzählt weitestgehend klischeelos von dem ewigen Kampf, den Waisenkinder führen – mit anderen, aber auch mit sich selbst.

Ich fand beide Hauptfiguren sympathisch, sowohl die rebellische 17jährige Molly als auch die 91jährige Vivian. Dass ihrer beider Geschichte eine Ähnliche ist, wird erst im Laufe des Buches wirklich offenbar. Mollys Geschichte im 21. Jahrhundert bildet den Rahmen und die Grundlage für Vivians Story, die unglaublich anmutet, aber trotzdem auf historischen Fakten beruht. Vivian, geboren als Niamh in Irland und mit den Eltern in den 20er Jahren ausgewandert nach New York, kam mit einem sogenannten „Waisenzug“ in den mittleren Westen. Mit diesen Zügen wurden seit den 1850er Jahren regelmäßig Waisen aus den Großstädten aufs Land gebracht, um dort an Familien vermittelt zu werden. Meistens Familien, die eine weitere junge, möglichst gesunde Arbeitskraft für ihr schweres bäuerliches Leben brauchten. Von Seiten der Childrens Aid Society wurde nicht so genau darauf geschaut, ob die Kinder „in gute Hände“ vermittelt wurden. Und so erlebten viele der Kinder unglaublich schwere Kindheiten. Eine dieser Kindheiten ist die von Vivian, sie wird speziellen Kapiteln erzählt und macht einen ganz schön betroffen… Wie gut man es doch heutzutage hat!

Ich fand das Buch sehr berührend und schön geschrieben. Man fühlt mit, hat aber nicht das Gefühl es sei kitschig. Dafür ist die Geschichte wohl auch zu leidvoll. Auch wenn die melancholischen Töne überwiegen – das Buch ist absolut lesenswert und nebenbei lernt man viel über die Waisenzüge, ein fast vergessenes Detail der amerikanischen Geschichte.