Rezension

Ein wirklich lesenswerter und zu Unrecht vergessener Klassiker der amerikanischen Literatur.

Ein anderer Takt - William Melvin Kelley

Ein anderer Takt
von William Melvin Kelley

Bewertet mit 5 Sternen

Massenexodus

Bereits vor fast 60 Jahren, genauer im Jahr 1962, erschien William Melvin Kelleys Debütroman „A Different Drummer“. Vor Kurzem wiederentdeckt, brachte der Verlag Hoffmann und Campe die deutsche, 304 Seiten umfassende Übersetzung unter dem Titel „Ein anderer Takt“ im September 2019 heraus.

Im fiktiven Südstaatenstädchen Sutton streut ohne ersichtlichen Grund der junge, afroamerikanische Farmer Tucker Caliban, Nachkomme der Sklaven des Willson-Clans, an einem Tag im Juni 1957 Salz auf seine Felder, erschießt sein Vieh und verbrennt sein Haus. Anschließend macht er sich mit Frau und Kind auf den Weg, den Bundesstaat zu verlassen und gen Norden zu ziehen. Damit löst er einen wahren Exodus aus: Alle Schwarzen verlassen den Staat, der nun der einzige ist, „unter dessen Einwohnern sich kein einziger Neger befindet.“ (S. 34)

Die Reaktionen auf diesen Auszug sind durchaus unterschiedlich. Sie reichen von Freude, „Es gibt keinen Grund zur Sorge. Wir haben sie nie gewollt, wir haben sie nie gebraucht.“ (S. 36), über Irritation bis hin zu Wut, als den Weißen klar wird, dass sie „noch nie einen Weißen gesehen [haben], der einen Laden ausfegt.“ (S. 272) und enden schließlich in einem Akt der Gewalt.

Das Interessante an dem Roman besteht darin, dass das Geschehen fast ausschließlich aus der Perspektive der weißen Bevölkerung, vor allem der der Familie Willson, betrachtet wird; allen ist gemeinsam, dass sie versuchen, den Sinn hinter diesem Geschehen zu sehen. Dabei ist das Bild, das sich die Menschen von den Afroamerikanern machen, durchaus differenziert. Während der Gründer des Willson-Clans den Afrikaner noch als sein Eigentum betrachtete, das er sogar jagen und töten durfte, versuchen seine Nachkommen durchaus, eher geschwisterliche (Dymphna) oder freundschaftliche (Dewey) Verbindungen zu knüpfen, was ihnen aber nicht vollends gelingt. Besonders deutlich wird dieses m.E. an dem kleinen Mister Leland, der Tucker zwar als „Freund“ betrachtet, dem aber entgegen dem Gebot seiner Eltern doch das Wort „Nigger“ recht leicht über die Lippen geht. Doch auch über den Tellerrand dieses verschlafenen Nestes hinaus wird ein Blick ins vermeintlich menschlichere Nordamerika geworfen, das eben aber auch nur „vermeintlich“ fortschrittlich ist. Und auch auf Organisationen zu Wahrung der Rechte der Afroamerikaner oder Linke wird hier nicht allzu sehr vertraut. So wundert es nicht, dass Tucker am Ende seine eigenen Konsequenzen zieht und die Geschichte ihren weiteren Verlauf nimmt.

Sehr gut gefallen hat mir die Komposition des Romans: Die unterschiedlichen Perspektiven sind durch die acht Personen, die nach und nach zu Worte kommen, klar voneinander abgetrennt, wobei der Autor auch auf unterschiedliche Textsorten zurückgreift, Zusammenhänge werden sukzessiv ersichtlich, und gerahmt wird das Ganze von der Bevölkerung Suttons, die m.E. hier noch aus ersichtlichen Gründen am schlechtesten wegkommt. Die Sprache ist eher einfach gehalten und verzichtet auch nicht auf rassistische Formulierungen, was dem Milieu entspricht und dem Geschriebenen Authentizität verleiht.

Eingeleitet wird die deutsche Ausgabe mit Informationen zur Wiederentdeckung des Romans, abgeschlossen mit Informationen zum Autor aus der Feder dessen ältester Tochter.  

Nicht so sehr gelungen ist meiner Meinung nach die Übersetzung des Titels. Hier hätte ich es beim englischen Original, „A Different Drummer“, belassen, wird dieses doch eher dem Protagonisten gerecht.

Sicher stellt Kelley in seinem Roman in erster Linie das Wesen der südamerikanischen Bevölkerung in seiner Zeit dar. Auch mögen der Staat, die Stadt und der Massenexodus fiktiv sein. Aber dennoch lohnt es sich auf jeden Fall, das Buch zu lesen, und zwar nicht nur im Hinblick auf den wieder erstarkenden Rassismus. Denn Einstellungen, die in diesem Werk kommuniziert werden, Lösungsalternativen, die ins Nichts führen, und nicht zuletzt der Pöbel, der das letzte Wort hat, waren und sind auch bei uns in vielen Bereichen allgegenwärtig und sollten reflektiert werden. Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung.