Rezension

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Eine Erzählung wie flüssiges Wasser

Das flüssige Land
von Raphaela Edelbauer

Die Erzählung das flüssige Land von Raphaela Edelbauer ist eine spannende Erzählung, die unglaublich reich an Metaphern ist und sowohl als eine Beschreibung für den Umgang mit Trauer, eine Gedankenwelt unter Drogeneinfluss, eine Gesellschaftskritik, eine kreative Umsetzung von physikalischer Zeittheorie oder als Vergangenheitsbearbeitung einer Täter-Familie aus dem 3. Reich gelesen werden kann. Vorweg: Mir hat die Erzählung gut gefallen, obwohl es zwischen durch etwas langartmig war. Denke allerdings auch, dass man diese Art von Erzählung mögen muss.

Die Handlung

Ruth ist eine theoretische Physikerin, welche schon seit vielen Jahren an ihrer Habilitationsschrift über Zeit schreibt und im Zuge dieser anscheinend den Kontakt zur Außenwelt langsam verliert. Es wird aus ihrer Sicht im Ich-Erzähler erzöhlt. Der Leser, weiß maximal so viel wie Ruth weiß, teilweise sogar weniger. Es scheint so, dass man Sie nur sequenzweise und lückenhaft wahrnimmt. Durch den Tod Ihrer Eltern begibt sie sich auf die Suchen ihrer Ursprungsgeschichte. Dabei wird die Groß-Einland Erzählung, von der Erzählung aus dem scheinbaren "Hier" gerahmt. Auf Ruths Suche nach dem Heimatdorf übertritt sie durch den Wald - auch hier wird ein Wald als Grenzüberschreitung verwendet, wie es schon seit der Literatur des Mittelalters getan wird - und übertritt die Grenze oder Schwelle nach Groß-Einland. Ab hier beginnt sich ein klarer Handlungsverlauf aufzulösen und die Erzählung ist seriell und nicht kausallogisch aneinder gereiht.

Von hier an werde ich deswegen auch nicht die Handlung weiter beschreiben, sondern eher auf die verschiedenen Metaphern eingehen. Ich lese Groß-Einland dabei als eine Metapher für Ruths Inneres und wie es ihr geht. Sie zieht sich in sich selbst - und damit nach Groß-Einland - zurück.

Umgang mit Trauer: Das Loch in Groß-Einland kann als emotionales Loch verstanden werden, in welches man hineinfällt, wenn geliebte Menschen sterben. Immer wieder wird auch erzählt, dass Menschen in dem Loch verschwinden und sterben. Durch das Loch gerät ganz Groß-Einland ins Wanken. Die Häuser und Straßen gehen kaputt, man verliert wortwörtlich den Boden unter den Füßen. Erst nachdem sie akzeptiert hat, dass ihre Eltern tot sind, kann sie in die normale Welt wieder zurückkehren.

Gedankenwelt unter Drogeneinfluss: Immer wieder wird erwähnt, dass Ruth unter Medikamenten steht. Sie denkt sich ihre eigene Welt aus, baut sich ihre eigene Welt auf und nimmt diese als Realität war. Sie entwickelt eine Paranoia und fühlt sich missverstanden und verfolgt. Die Handlung enthält immer wieder größere Sprünge und Lücken, als ob es ein Gedächnisverlust  unter dem Einfluss von Drogen gegeben hätte.

Gesellschaftskritik: In Groß-Einland geht jeder exakt den gleichen Dingen nach und möchte nicht gestört werden. Niemand hinterfragt, warum die Dinge so sind wie sie sind. Kaum jemand lässt Kritik zu. Die einzelnen Figuren sind - wie auch von der Erzählerin selbst beschrieben - eher flache Abbilder eines Rollentypus wie in der commedia dell'art. Ein Beispiel wäre es, dass aus dem nichts Anita zur besten Freundin wird, die Ruth auch sofort wieder verliert. Die komische Gräfin, die absolut nicht greifbar ist oder der nervige Mann, der nicht akzeptieren kann, dass Ruth kein Interesse an ihm hat.

Kreative Umsetzung von physikalischer Zeittheorie: Ich kenne mich zu wenig mit Zeittheorie aus, um beurteilen zu können, ob diese gut umgesetzt wurde, allerdings fand ich es auffällig, dass die wenigen erklärten Stücke dieser Theorie in der Erzählung Einflüsse finden. Es gibt Zeitsprünge, die kaum behandelt werden. Die Erzählzeit ist kaum greifbar und dadruch entsteht das Gefühl, dass alles parallel stattfindet.

Vergangenheitsbearbeitung einer Täter-Familie aus dem 3. Reich:
Aus persönlicher Erfahrung heraus finde ich diese Beschreibung sehr gelungen. Immer wieder findet Ruth bruchstücke von Wissen, dass sich aber kaum verifizieren lässt. Man dreht sich im Kreis, die meisten Menschen wollen die zeit lieber Ruhen lassen und nicht daran erinnert werden. Auch hier ist das Loch eine gute Metapher für das schwarze Loch, dass nach und nach alle Informationen über die Zeit verschluckt und dennoch umso mehr man darüber schweigt, umso mehr Einfluss hat es auf sein eigenes Leben. Leider werden die Recherchen am Ende dem schwarzen Loch übergeben. Gerade in der heutigen Zeit, hätte ich es besser gefunden, darauf zu verweisen, dass diese Vergangenheitsbewältigung einer Täterbiographie eine wichtige Aufgabe ist.

Fazit
Mir hat die Lektüre ingesamt gut gefallen. Einen Stern ziehe ich dennoch an, da es auf den letzten Seiten echt zähflüssig wurde. Insgesamt verspricht die Erzählung, was sie ankündigt: eine Geschichte die fließt und wie Wasser immer dann wenn man es greifbar machen will zwischen den Händen zerinnt.