Rezension

Keine einfache Lektüre, aber definitiv außergewöhnlich und lesenswert

Unwesen
von John Ajvide Lindqvist

Bewertet mit 4 Sternen

Auf „Unwesen“ von Ajvide Lindqvist war ich total gespannt, es klang so interessant, dass ich meine Augen nicht davor abwenden konnte.

Mit seinen 768 Seiten ist es ein echter Totschläger. Der Autor legt seinen Fokus auf eine sehr detaillierte Ausarbeitung.
Dabei geht es um sechs junge Menschen, die man von Grund auf kennenlernt und die man über Jahre hinweg begleitet.
Man erlebt praktisch ihre Charakterentwicklung hautnah mit und wie sie sich eigentlich kennenlernen und zu einer Einheit zusammenwachsen.
Ich fand es extrem interessant, zumal hier auch die Perspektiven immer wieder wechseln.
Zu den Mädels hatte ich allerdings einen viel besseren Draht als zu den Jungs. Ich weiß ehrlich nicht, woran es lag.
Vielleicht weil sie das Leben anders und emotionaler betrachten und damit umgehen, als es das männliche Geschlecht tut.
Besonders Siew und Anna sind großartige Protagonisten, die ich so unfassbar gern mochte.

Die Einzelschicksale sind extrem beklemmend und aufwühlend.
Dabei bindet der Autor verschiedene ernste und sensible Themen mit ein und transportiert das Ganze einfach großartig, feinfühlig und direkt. Und trotzdem schafft er es ,dass es niemals überspitzt wirkt.
Es wirkt allerdings oft etwas unkoordiniert und wirr. Besonders mit den Zeitebenen hatte ich manchmal so meine Probleme.
Auch gibt es einzelne Komponenten, die für mich erstmal nicht wirklich einen Sinn ergaben.
Und obwohl diese Geschichte sehr bewegend und tragend ist, so hab ich lange nicht verstanden, was der Autor mir eigentlich damit sagen möchte.
Bis ich resümierte, diese Menschen betrachtet und erkannt habe, wie wichtig ihre ganze Persönlichkeitsentwicklung für das große Ganze war.
Wie allumfassend und essentiell.
Jeder hat sein Päckchen zu tragen, dass äußerst sich oft in tragischen und dramatischen Entwicklungen, die überaus beklemmend und erschütternd sind.
Die sie auf ihrem Weg auch zeichnen und formen.
Er bindet dabei auch Elemente ein, die unmöglich zu erklären sind. Auf eine seltsame Art und Weise sind sie aber da und wichtig.
Aber sie müssen nicht zwangsläufig der Kern des Problems sein.
Viel mehr sind wir es. Wir, die Entscheidungen treffen und die Summe dessen, verändert etwas in uns und löst es aus.
Aber existiert das Böse tatsächlich?
Willkürlich und absichtlich?
Kann ich jemand anderem die Schuld daran geben, wie ich auf bestimmte Situationen reagiere? Natürlich. Aber nicht zwangsläufig.
Denn im Endeffekt, sind wir selbst der Auslöser. Wir bestimmen über unsere Handlungen und unsere Gedanken.
Wir entscheiden, ob die Angst über unser Leben bestimmt oder eben nicht.

Mich hat dieses Buch wirklich zum Nachdenken gebracht, aber auch emotional aufgewühlt.
Hier passiert so viel Schlechtes und Grausames. Menschlich und moralisch verwerfliches. Erschütterndes und tiefgreifendes.
Und du merkst, wie wenig du voneinander weißt. Wirklich weißt. Denn der Mensch lässt dich nur das sehen, was du sehen sollst.
Aber trotzdem herrscht hier so viel Vertrauen und Loyalität in dieser Clique, dass es wie Trost und Beständigkeit wirkt.
Ein Anker, an dem man sich förmlich festkrallt, um die Balance und Vertrautheit nicht zu verlieren.
Ganz im Sinne: “ Wenn wir uns nicht haben, haben wir gar nichts.“
Der Autor taucht hier tief in die Psyche der Menschen ein. Kehrt ihr Innerstes nach außen und lässt sie selbst diesen Prozess des Lebens und der Entwicklung hautnah miterleben. Mit all seinen Schmerzen,Prüfungen, Ängsten, Gefühlsausbrüchen und selbst gewählten Entscheidungen.
Und das macht im Endeffekt auch dieses Werk aus.
Eine außergewöhnliche Geschichte, die man entweder mag oder schier gar nichts damit anfangen kann.
Man muss sich darauf einlassen und es mit all seinen Sinnen wahrnehmen und einfach hineinwachsen, um es letztendlich verstehen zu lernen.

Fazit:
John Ajvide Lindqvist gelingt mit „Unwesen“ ein Werk, das vor allem im psychologischen Bereich enorm gut ausgearbeitet ist.
Es ist eine Geschichte über das Böse, aber auch über uns selbst und das Leben, das uns so viel lehrt.
Keine einfache Lektüre, aber definitiv außergewöhnlich und lesenswert.