Rezension

Langatmiger Start

Der Orden des geheimen Baumes - Die Magierin - Samantha Shannon

Der Orden des geheimen Baumes - Die Magierin
von Samantha Shannon

Als mich das Buch endlich gepackt hat, war es leider schon zu Ende.

"Und in dieser unmöglichen See wurden sämtliche Sterne, jede Sternkonstellation , jede Falte und Spirale des Kosmos reflektiert. Als gäbe es zwei Firmamente, als wäre ihr Schiff ein Geisterschiff, das zwischen den Welten trieb. Das Meer hatte sich in Glas verwandelt, damit sich der Himmel endlich betrachten konnte. […] Eine ausbalancierte Welt, wie sie auf der Tafel von Rumelabar beschrieben wurde. 
Was unten ist, muss von dem, was darüber ist, ausbalanciert werden, und darin liegt die Präzision des Universums." – 
SAMANTHA SHANNON

Meine Meinung

Im ersten Teil des Ordens des geheimen Baumens entführt Samantha Shannon in eine High Fantasy Welt, die sich sowohl durch Komplexität als auch Einfallsreichtum auszeichnet. Stück für Stück offenbart sich, dass die Menschheit von kulturellen Trennlinien durchzogen ist, aber einer Bedrohung bevorsteht, der sie nur gemeinsam gewachsen ist. Man trifft nicht nur auf scheinbar unüberbrückbare kulturelle und religiöse Differenzen zwischen Westen und Osten, sondern auch innerhalb der westlichen Reiche. Die Bedrohung lässt sich erst allmählich über verschiedene Perspektiven auf die gemeinsame Vergangenheit begreifen. So vielseitig und unterschiedlich die verschiedenen Länder auch gezeichnet werden, sie ähneln sich darin, dass die einflussreichsten Positionen überwiegend von Frauen besetzt werden.

Obwohl sich das alles erstmal sehr vielversprechend anhört, hat mich der erste Teil vom Orden des geheimen Baumes in jeder anderen Hinsicht enttäuscht. Viel zu lange hat mir der Anreiz gefehlt, die beeindruckende Welt überhaupt kennenlernen zu wollen. Bevor die Handlung erstmals an Fahrt aufnimmt, warten auf den Leser 300 Seiten Exposition, die mit einem detaillierten, aber auch sehr förmlichen Schreibstil die Ausgangssituation einführt. Die wenigen actionreichen Szenen zum Schluss haben mir zwar gut gefallen, waren aber insgesamt zu wenig. Man hat stark gemerkt, dass die Geschichte im Original als Einzelband geschrieben und im Deutschen nach der Hälfte geteilt wurde. Verschiedene Schreibweisen gleicher Wörter, unlogische Verwendungen historischer Titel und das uneinheitliche Geschlecht ein und derselben Person haben mich leider häufig aus der Erzählung herausgerissen.

Mein großer Kritikpunkt betrifft die Charaktere, zu denen ich keinen Zugang gefunden habe. Es fehlen einfach interessante Eigenarten, nachvollziehbare Entwicklungen und fesselnde Dialoge, die eine Empfehlung für Game of Thrones Fans eigentlich nahelegt. Die Geschichte wird von einem personalen Erzähler aus der Perspektive von insgesamt vier Personen erzählt, von denen sich zu Beginn zwei im Westen und zwei im Süden aufhalten. Am meisten Umfang haben die Kapitel der Magierin Ead am Hofe von Königin Sabran. Ihr überhebliches Verhalten und die steifen Konversationen am Hof machen es nahezu unmöglich, Nebencharaktere näher kennenzulernen. Über die einzige interessante Person, die das herkömmliche Geschichtsbild hinterfragt und nach der Wahrheit über die Vergangenheit sucht, erfährt man so nur negatives. Selbst die Annäherung zwischen Ead und Sabran konnte mich nicht packen. Sabran wandelt sich in Eads Perspektive viel zu schnell von der unfehlbaren Königin zum tragischen Opfer ihrer Verantwortung, als dass es mich hätte überzeugen können.

Vicomte Loth, die zweite Hauptperson im Westen, ist sowohl mit Sabran als auch mit Ead befreundet (obwohl ich mich lange gefragt habe, warum überhaupt). Zusammen mit seinem Freund Kit wird er als Botschafter nach Yscalin geschickt, weil ihm zu Unrecht eine Affäre mit der Königin nachgesagt wird. Als tugendhafter Adliger, der er nun mal ist, nimmt er dieses Schicksal, das einem Todesurteil gleichkommt, tapfer an. Seine religiöse Überzeugung, mit der er unkritisch alle Schwierigkeiten und Glücksfälle als Zeichen seiner Heiligen deutet, lässt ihn ebenfalls nicht zum Sympatieträger werden. Sein Freund Kit, Poet und Frauenheld, ist der einzige Charakter mit Humor, erinnert aber auch stark an Jaskier aus der Witcher Saga.

In die Kultur des Ostens führt Tané ein, die ihr Leben ganz ihrem Traum opfert, Drachenreiterin zu werden. Etwas klischeehaft muss sie sich dafür zunächst in verschiedensten Prüfungen gegen einen ätzenden Konkurrenten behaupten. Da es für sie neben ihrer Ausbildung einfach nichts zu geben scheint, konnte mich ihr Schicksal leider auch dann nicht fesseln, als sie die Konsequenzen einer egoistischen Entscheidung einholen. Am besten hat mir noch die Perspektive des Alchimisten Niclays gefallen, der ins Exil im Osten geschickt wurde. Er ist der einzige Hauptcharakter, der sein Leben nicht irgendwelchen Pflichten widmet und einen vielschichtigen Einblick in sein Innenleben gewährt. Er handelt häufig skrupellos und unmoralisch, aber seine Entscheidungen sind wenigstens authentisch. 

Zur Handlung gibt’s in diesem Teil eigentlich nicht viel zu sagen. Als sich langsam Zusammenhänge zwischen den Charaktere erkennen und sich ihre Informationen über die drohende Rückkehr des namenlosen Einen zu einem gemeinsamen Bild verknüpfen lassen, hat mich das Buch endlich gepackt, aber da war es auch schon zu Ende.