Rezension

Spannender historischer Krimi

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen -

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen
von Henrike Engel

Bewertet mit 5 Sternen

„….Ein neues Jahrzehnt war angebrochen, aber für sie war es viel mehr als das. Noch vor 48 Stunden hatte sie auf einer Party gelacht, getrunken und getanzt. […] Niemals hatte sie geahnt, was ihr der nächste Morgen bringen würde...“

 

Wir schreiben das Jahr 1910, als Anne Fritzpatrick von jetzt auf gleich London verlassen muss. Die Ärztin kehrt nach Hamburg zurück, der Stadt ihrer Kindheit, in der sie bis zu ihrem 15ten Lebensjahr als Tochter eines Reeders gewohnt hat. Auch damals geschah der Aufbruch nach London nicht freiwillig.

In Hamburg will Anne im Hafenviertel ein Frauenhaus eröffnen. Am ersten Tag erscheinen nicht nur Reporter, sondern auch Helene, die Tochter eines Pastors. Ausgerechnet die sieht im Wasser eine Frauenleiche.

Die Autorin hat einen spannenden historischen Krimi geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.

Der Schriftstil ist ausgereift. Die Personen werden gut charakterisiert.

Anne weiß, was sie will. Sie setzt sich für die Rechte der Frauen ein und macht sich damit für deren Gegner angreifbar.

 

„...Früher, in England, hatte sie geglaubt, den Frauen die Augen über ihre gewalttätigen Männer öffnen zu müssen, aber sie hatte stattdessen erlebt, dass diese ihre Peiniger noch verteidigten...“

 

Nun geht Anne einen neuen Weg. Sie bietet Frauen praktische Unterstützunga n. Gleichzeitig bleiben einige Fragen aus der Vergangenheit lange im Dunkeln. Das betrifft den Abstieg ihrer Familie als auch ihre Flucht aus London.

Helene soll eine Hauswirtschaftsschule besuchen. Doch das Leben ihrer Mutter zeigt ihr ein: Hausfrau und Mutter als Lebensziel genügen ihr nicht. Sie möchte mehr erreichen, vielleicht sogar studieren. Natürlich beißt sie bei ihrem Vater erst einmal auf Granit.

Der Fall wird von Berthold Rheydt übernommen. Es ist für ihn eine Chance, zu zeigen, was er kann. Mir gefällt vor allem, wie er mit seinen Untergebenen umgeht und diese bewusst nach ihren Fähigkeiten mit einspannt. Ansonsten würde man Berthold als gebrochenen Mann bezeichnen. Ein Schicksalsschlag hat seinem Leben die entscheidende Wende zur Polizei gegeben.

Die Autorin beherrscht den Umgang mit schönen Sprachbildern.Sie gibt der Geschichte Raum für die Beschreibung der Stadt, aber auch von Wetter und Natur.

 

„...Hatte sich der gestrige Abend noch mit undurchdringlichen Nebel und Regen verabschiedet, so zeigte sich der heutige Tag wie klargespült, eine gnädige Hand hatte den grauen Schleier gelüftet...“

 

Deutlich herausgearbeitet werden ebenfalls die Gefühle der Protagonisten. Für Anne ist der Neuanfang mit Einsamkeit verbunden. Menschen, die sie liebte, ließ sie in London zurück. Doch ein anders Gefühl beschäftigt sie ebenfalls.

 

„...Es war Wut. Ihre Wut, immer wieder gegen die gleichen Mauern zu rennen. An den Regeln zu scheitern, die Männer aufgestellt hatten...“

 

Anne ahnt, dass sie in den Fokus des Mörders geraten ist. Gleichzeitig wird bei der Polizei gegen die Ermittlungen interveniert. Man soll gefälligst den Täter im Milieu des Untergrunds suchen. Berthold und seine Leute aber wissen, dass er aus ganz andern gesellschaftlichen Schichten kommen muss.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen, auch wenn die eine oder andere Frage offen bleibt. Das betrifft allerdings nicht den Kriminalfall. Der ist gelöst. Außerdem malt die Autorin mit ihrem Buch ein stimmiges Zeitgemälde in einer Zeit der Umbruchs, wo Neues und Altes aufeinander prallen.