Rezension

Sperrig, witzig, fordernd und wunderschön

Die Gestirne - Eleanor Catton

Die Gestirne
von Eleanor Catton

Bewertet mit 4 Sternen

So ein Buch habe ich noch nie gelesen. Es ist ein echtes Phänomen. Hier spielt eine Autorin über 1000 Seiten lang mit dem Leser und führt ihn an einer ganz langen Leine an der Nase herum.
 
1866 in Neuseeland, in der Goldgräberstadt Hokitika passieren merkwürdige Dinge. Ein Einsiedler wird ermordet aufgefunden, eine Hure bricht auf der Straße zusammen und ein reicher Mann verschwindet spurlos, alles an einem Tag. Außerdem wird im Haus des Ermordeten eine große Menge Gold gefunden. 
Hier beginnt das Rätseln. Haben diese Vorfälle etwas miteinander zu tun? Wie kommt der Tote zu so viel Gold und wem gehört das Vermögen jetzt? Plötzlich taucht eine Ehefrau auf, von der keiner je gehört hat.  
Zwölf Männer treffen sich heimlich, um Lichts ins Dunkel zu bringen. Jeder hat ein wenig zur Klärung der Vorfälle beizutragen, aber die Informationen passen nicht zusammen. Je mehr man erfährt, desto verworrener wird das Bild.

In Rückblenden wird das Geschehen aus satten 20 Perspektiven immer wieder ergänzt, Puzzlestein über Puzzlestein, aber nichts passt so recht. Irgendwann weiß man gar nicht mehr, was ist Fakt, was ist Lüge, was ist subjektive Wahrnehmung, wer sind hier eigentlich die Guten? Zwischendurch traut man keinem mehr über den Weg und fängt an, über Zauberei nachzudenken.
Das ist faszinierend aber auch anstrengend. Hier muss man hoch konzentriert bei der Stange bleiben.

Auch wenn objektiv betrachtet nicht viel passiert, weil man eigentlich nur immer wieder die gleichen Ereignisse aus anderer Sicht überdenkt, macht das Lesen großen Spaß. Das liegt zum einen an der ausgefeilten Sprache, die mit viel Humor und Ironie sehr plastische Bilder und eine altertümliche Atmosphäre schafft. 

„In Aussehen und Auftreten war Lauderback nicht unbedingt bezaubernd, aber imposant…Er war sehr groß, von konischer Figur, was ihn noch größer wirken ließ. Er redete laut und tat seine Absichten mit einer Offenheit kund, die man für überheblich halten konnte (wenn man skeptisch war) oder für kühn (wenn man es nicht war).“

Zusätzlich bietet das Buch auch noch eine ganz spezielle Schnitzeljagd für astrologisch Interessierte. Die Hauptprotagonisten sind bestimmten Planeten zugeordnet. Mit Hilfe der Kapitelüberschriften (z.B. „Merkur im Schützen“) und verschiedenen Graphiken, kann man tatsächlich noch zusätzliche Hinweise bis hin zu konkreten Koordinaten der Schauplätze entschlüsseln. 

Dieses Buch ist ausgefeilt bis ins letzte Detail. Man erschauert vor Ehrfurcht vor so einem vielschichtigen und umfangreichen Werk. Deshalb enttäuscht das Ende umso mehr. Es bleibt nahezu alles offen, dabei hatte man eigentlich fest damit gerechnet, dass bei solch akribischer Planung irgendwann die Fäden zusammenlaufen. 

„Die Gestirne“ ist ein besonderes Buch, sperrig, witzig, fordernd und wunderschön. Leider fehlt am Ende dem 10.000 Teile Puzzle ein paar Teile.