Rezension

Whodunnit im Freundeskreis

Das Verstummen der Krähe - Sabine Kornbichler

Das Verstummen der Krähe
von Sabine Kornbichler

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Buch wie eine angeregte Unterhaltung mit einem lieben Freund.

"Das Verstummen der Krähe" dreht sich um die Nachlaßverwalterin Kristina Mahlo, in deren aktuellem Fall eine ungewöhnliche Bedingung im Testament der Verstorbenen vermerkt ist: Tief überzeugt, daß ihr vor ihr verstorbener Gatte zu Unrecht wegen Mordes verurteilt wurde, fordert diese den Nachweis, daß es sich bei keinem der fünf Erbberechtigten um den tatsächlichen Mörder handelt, bevor das beträchtliche Vermögen freigegeben wird. Die junge Juristin muß also nicht nur kriminalistischen Spürsinn beweisen, sondern sich auch gegen die Manipulationsversuche der Erben zur Wehr setzen. Dazu scheint dieser spezielle Fall in unmittelbarer Verbindung zu ihrem vor sechs Jahren spurlos verschwundenen Bruder Ben zu stehen, mit dem die Familie seither hadert.

In gut zwanzig Kapiteln läßt die deutsche Autorin Sabine Kornbichler ihre Leser durch die Augen von Kristina Mahlo blicken, wenn sie konsequent als Ich-Erzählerin von der zunächst nur widerwillig angenommenen Aufklärung des Verbrechens erzählt. Durch diese enge Bindung an die Hauptfigur wird dem Leser zwar ein Überblick über die Geschichte aus der oftmals gewohnten Vogelperspektive verwehrt, die Involvierung in das Geschehen ist jedoch viel unmittelbarer. Auf formaler Ebene wird diese Nähe durch die Art der Erzählung zusätzlich unterstützt: Während dem erzählten Raum und den Geschehnissen relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, liegt der stilistische Schwerpunkt auf der Interaktion der Figuren. Ganz offensichtlich ist der Autorin sehr am gesprochenen Wort gelegen, was den Roman in die Nähe der Gattung des Dramas rückt. Figuren werden weniger durch ihr Äußeres oder ihre Handlungen, sondern vielmehr durch ihr Sprechen charakterisiert. Sabine Kornbichler meistert dabei das Risiko dieser Beschränkung - die Verwechselbarkeit der Figuren - indem es ihr gelingt, jede Figur mit einer eigenen, die jeweilige Persönlichkeit ausdrückenden Stimme, sprechen zu lassen. Damit nutzt sie zugleich auch ihre handwerkliche Routine als Autorin bei der Bewältigung einer der großen Herausforderungen: der Schilderung des Alltäglichen.

Flankiert wird die Hauptfigur Kristina von einer Handvoll liebenswert gezeichneter Persönlichkeiten aus dem Freundes- und Familienkreis. Ohne bewußt moderne, an alte Stammesbünde angelehnte Sozialnetzwerke propagieren zu wollen, läßt die Autorin innere Ausgeglichenheit in einem funktionierenden menschlichen Umfeld finden. Indem sie quasi einen Idealzustand entwirft, stellt der Roman zugleich eine Einladung an den Leser dar, sich mit dem Blättern durch die Seiten in diesem Verbund aufgenommen zu fühlen. Während also die Aufklärung des Verbrechens als roter Faden fungiert, wirkt die allabendliche Begegnung mit vertraut wirkenden Persönlichkeiten wie eine innerlich angewandte Wärmeflasche.

In der Tat findet die Handlung mit wenig Blut ihr Auslangen. Weder kommt es zu atemberaubenden Verfolgungsjagden mit übermenschlichten Stunteinlagen, noch arbeiten verhaltensauffällige Kommissare, die Gerhin und Lebern in vergleichbarem Ausmaß strapazieren, an der Aufklärung des Verbrechens. Und obwohl in der bayerischen Hauptstadt verortet, bietet der Roman auch keine korpulente, lederhosentragende Ermittler, die sich ihr deftiges Nachtmahl nur widerwillig von einem Mord unterbrechen lassen. Mit Kristina Mahlo wurde eine Figur geschaffen, deren Charme vor allem aus ihrer Unauffälligkeit resultiert. Sie feiert die Geburtstage ihrer Freunde, versucht, zwischen ihren getrennt lebenden Eltern zu vermitteln, erledigt Routinetätigkeiten im Büro. Nicht nur durch die gewählte Perspektive begegnet sie dem Leser somit auf Augenhöhe. Weder durch literarische Überhöhung dem Alltagsgebrauch entfremdet, noch mit phraseologischen Füllern überfrachtet, präsentieren sich auch die Dialoge, die als zentrales Erzählmittel eingesetzt werden und erzeugen somit zusätzlich stilistische Konsistenz.

Im Zuge ihrer Arbeit als Nachlaßverwalterin kommt Kristina Mahlo immer wieder mit einem intimen Bereich der Verstorbenen in Berührung: ihren Wohnungen. Steht in der psychologischen Symbolik das Haus für das Selbst, so wird die eigene Umgebung zu einer Momentaufnahme zum Zeitpunkt des Sterbens. Diese Symbolik wird von der Autorin auch konsequent weitergeführt, wenn sie anhand von Spinnweben und Kletterpflanzen zeigt, wie die Natur ein verlassenes Gebäude wieder in den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen eingliedert. Indem Kristina durch die Tagebücher der Verstorbenen deren Leben nachvollzieht, erweitert sie ihren Dienst um eine unkörperliche Komponente und setzt ein Zeichen gegen den Tod als das Vergessen-Sein. Nicht bewußte Indiskretion ist ihr Antrieb, sondern das respektvolle Erinnern an einen Menschen mit all seinen Merkmalen, Vorlieben, Sorgen und Geschichten. Diesen feinen Unterschied klar erkennbar zu zeichnen, ist ausschließlich den Fähigkeiten der Autorin zuzuschreiben.

Fazit:
Weder ein Übermaß an Blut, noch rasante Action prägen diesen als Krimi verkleideten Gesellschaftsroman, sondern das feine Gespür der Autorin für menschliche Nuancen, die sie geschickt zu einer Geschichte zum Eintauchen und Sich-Verlieren zu verweben weiß.