Rezension

Wie Nicht-Kommunikation menschliche Beziehungen erschwert

Wir für uns -

Wir für uns
von Barbara Kunrath

Bewertet mit 3.5 Sternen

Sozialarbeiterin Josie ist hin- und hergerissen: Sie ist schwanger von Bengt. Doch Bengt möchte das Kind nicht, da er verheiratet ist und mit seiner Ehefrau bereits gemeinsame Kinder hat. Josie möchte Bengt nicht verlieren, ist sich jedoch auch klar darüber, dass es mit Anfang Vierzig wohl ihre letzte Chance ist, ein Kind zu bekommen. Dann trifft sie auf Kathi, die sich nach dem Tod ihres Mannes ebenfalls einsam fühlt, da die Beziehung zu ihrem einzigen Sohn abgekühlt ist. Die beiden auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Frauen nähern sich an, entdecken Gemeinsamkeiten – und entwickeln eine außergewöhnliche Freundschaft, in der sich füreinander da sind.
An „Wir für uns“ ist mir als erstes das fröhlich-optimistische Cover aufgefallen:  Zwei hübsche Vögelchen im Baum mit dem großen Titel im Fokus. Das zarte khaki ist zwar etwas unauffällig, aber das machen die Vögel und die goldgelben Abstufungen wieder wett. Es wirkt friedlich, harmonisch und stimmig und ich erwarte dadurch einen emotionalen Frauenroman mit Tiefe.
Barbara Kunraths Schreibstil gefällt mir gut, er ist klar und flüssig und somit einfach zu lesen. Teilweise geht die Autorin sehr ins Detail, was für meinen Geschmack nicht an allen Stellen derart vertiefend notwendig ist. In anderen Szenen jedoch lässt gerade diese Art des liebevollen Beschreibens anschauliche Bilder in meinem Kopf entstehen. Insgesamt ist das Buch eher ruhig und unaufgeregt verfasst. Es wechselt zwischen den Perspektiven der beiden Protagonistinnen Josie und Kathi, wodurch wir Leser beide kennen und somit besser verstehen lernen sollen.
Dies gelingt leider jedoch nur in Teilen. Josie wirkt auf mich teilweise recht naiv und ihre tollpatschige Art hätte ich so nicht mit einer fast Vierzigjährigen in Verbindung gebracht. Sie wirkt an vielen Stellen irgendwie unreif und noch nicht ganz im Erwachsenenleben angekommen. Insbesondere hinsichtlich ihrer Beziehung zu Bengt ist sie für mich einfach nur realitätsfern. Durch die Schwangerschaft entwickelt sie sich glücklicherweise etwas weiter, aber glaubwürdig ist mir ihre schnelle Abnabelung nicht erschienen. Insgesamt ging mir die Veränderung der Figuren an einigen Stellen etwas zu plötzlich. Auch Kathi blieb bis zum Schluss irgendwie distanziert und ich konnte keine richtige Bindung zu ihr herstellen. Die Begegnung der beiden Frauen wurde zwar gut geschildert, aber das Näherkommen und Vertrauen-Lernen, sprich: die eigentliche Entwicklung der Freundschaft war auch nicht wirklich nachvollziehbar, da mir hier die gemeinsamen Szenen gefehlt haben.
Was mich ebenfalls gestört hat war die Vielzahl an aktuellen Themen - Klima, Flüchtlinge, Inklusion, Homosexualität… sämtliche Trendthemen wurden mit in das Buch gequetscht, ob passend oder nicht. Hier hätte ich mir mehr Fokus gewünscht. Melanies kurzen Ausbruch zum Thema Klimawandel fand ich ziemlich unnötig. Wirklich wichtige Ereignisse für die Figuren und die Geschichte hingegen wurden im Vorbeigehen kurz in einem Nebensatz abgehandelt – an vielen Stellen hätte ich mir mehr Hintergrund oder Gedanken und Gefühle gewünscht. Interessant fand ich die Behandlung des – für ein Buch eher ungewöhnlichen – Themas der Pränataldiagnostik, hier konnte ich noch etwas dazu lernen. Auch der Alltag mit einem Kind mit Trisomie 21 wurde passend und respektvoll geschildert.
Insgesamt fand ich das Buch mit Handlungssträngen und Baustellen der Protagonisten etwas überfrachtet – kein Wunder, dass es deren Lösungen nicht gerecht werden konnte. Als Leser merkt man, dass es potenzielle Probleme gibt, aber wirklich thematisiert oder bearbeitet wurden nicht alle. Dies liegt vor allem daran, dass sämtliche Figuren diese einfach totschweigen und nicht miteinander sprechen. Die endlosen Kommunikationsprobleme haben mich zunehmend ermüdet und am Ende genervt. Ständig gibt es Streit und (unausgetragene) Konflikte, keiner spricht wirklich das an, was Sache ist, vor dem ehrlichen Gespräch wird geflohen, eine Klärung wird immer weiter verzögert… das war sehr anstrengend. Am Ende lösen sich viele dieser Konflikte dann ganz plötzlich und schnell, was zu dem jahrelangen "Drama" davor nicht so wirklich passen will. Hier fehlten mir die Hinführung und der Prozess zum Happy End.
Dennoch hatte ich keine schlechte Lesezeit. Die Geschichte hatte Wendungen parat, die ich so nicht erwartet hatte und ich habe auch mit Josie mitgefiebert. Insgesamt hätte ich mir gewünscht, dass die generationenübergreifende Frauenfreundschaft stärker im Mittelpunkt gestanden und mehr kommuniziert worden wäre.  Alles in allem hat mir das Buch zwar durchaus Spaß gemacht, aber es wird leider keines meiner Jahreshighlights werden.