Rezension

Ein Neubeginn für Frauen aus zwei Generationen

Wir für uns -

Wir für uns
von Barbara Kunrath

Bewertet mit 3.5 Sternen

Josies Einmal-wöchentlich-2-Stunden-Beziehung Bengt hatte keine Zweifel daran gelassen, dass er sich nicht von seiner Frau trennen wird. Mit fast 50 will er auf keinen Fall ein Kind mit seiner Geliebten haben; denn er hat schon Kinder. Als Josie mit über 40 entdeckt, dass sie schwanger ist, bedeutete das die letzte Chance für ein Kind, ehe ihre biologische Uhr abläuft. Zwischen dem Ungeborenen und Bengt wird sie sich entscheiden müssen - wie zu erwarten war. Einem schusseligen Wesen wie Josie traut kaum jemand ein Leben mit Kind zu, am wenigsten Josie selbst. Bisher musste sie in ihrem Single-Leben zu oft ihren Bruder um Hilfe bitten und ist deshalb frisch in Florians Nähe gezogen. Josies Schwangerschaft lässt einen mühsam verborgenen Familienkonflikt aufbrechen. Über das mittlere Kind, Josies ältere Schwester Babette, wurde so gut wie nie gesprochen – und es scheint keine Fotos von ihr zu geben.

Als Josie den Ehering einer offenbar betagten Person findet, lernt sie die 70-jährige Kathi kennen, die jahrzehntelang im Ort den Lebensmittelladen betrieb. Als Kathis Kunden nur noch das bei ihr kauften, das sie im Supermarkt der Stadt vergessen hatten, rentierte sich der Laden jedoch nicht mehr. Kathi hat nie verwunden, dass sie ihr Geschäft aufgeben musste, in dem sie gearbeitet hat, seit sie 15 war. Die Begegnung der beiden gegensätzlichen Frauen bringt die Idee hervor, in anderer Form wieder einen Dorfladen zu eröffnen. Josie (die sich bestens mit Kathie versteht) und Melanie, die bereits in der Naturkost-Branche gearbeitet hat, würden theoretisch die Mindest-Mitgliederzahl einer Genossenschaft bilden. Doch bevor der Plan Form annehmen kann, muss Kathi umdenken, und alle Beteiligten haben private Klippen zu überwinden. Josie ringt mit Bengts Forderung nach einem Schwangerschaftsabbruch, Kathis Sohn Max trennt sich für die Mutter überraschend von seiner Frau, zu der Kathi ein vertrautes Verhältnis hatte, und im Dorf stehen zu viele alte Verletzungen dem Laden-Projekt im Weg. Nicht nur die schusselige Josie, auch ihre Mutter und Kathi haben eine anstrengende Art, um Tatsachen herum zu lavieren, die für jeden außer ihnen selbst offensichtlich sind.

Die zahlreichen Querverbindungen zwischen den Figuren ließen mich trotz aller Konflikte schon früh auf ein glückliches Ende hoffen. Irgendjemand würde schon über seinen Schatten springen und damit einen alternativen Lebensentwurf anstoßen. Die Art gleich mehrerer Figuren, Offensichtliches totzuschweigen, bremste zu Anfang die Spannung stark aus. Von der neutralen Erzählerstimme, die aus Katies Leben erzählt, hätte ich gern mehr erfahren als sie selbst portionsweise preisgibt. Josie und Melanie dagegen fand ich zu einseitig unter Vernachlässigung ihres Berufs-Ichs dargestellt. In einem Roman, der 2019 unter berufstätigen Frauen spielt, genügt mir diese Sicht nicht. Als die Geschichte schon beinahe zu Ende war, erlebte ich Josie endlich zum ersten Mal an ihrem Arbeitsplatz, als Sozialpädagogin, die im Jugendamt Familien mit Kindern betreut. Auch die Darstellung von Melanies behinderter Tochter Nela gefiel mir nicht in einem Szenario, in dem eine der Hauptfiguren beruflich ständig mit dem Entwicklungsstand von Kindern befasst ist. Angesichts des zeitgemäßen Themas Dorfladen lässt die einseitige Darstellung der jüngeren Frauenfiguren die 2019 spielende Handlung m. A. zu trivial wirken