Leserunde

Leserunde zu „Intrige" (Robert Harris)

Intrige - Robert Harris

Intrige
von Robert Harris

Bewerbungsphase: 18.10. - 22.10.

Beginn der Leserunde: 28.10. (Ende: 11.11.)

Mit freundlicher Unterstützung vom Heyne Verlag können wir 20 Freiexemplare von „Intrige" im Rahmen dieser Leserunde zur Verfügung stellen.

Die größte Verschwörung der Moderne der neue große Politthriller des Bestsellerautors
Am 22. Dezember 1894 wird der französische Hauptmann Alfred Dreyfus wegen Landesverrat zu lebenslanger Haft verurteilt und verbannt. Ein Justizirrtum, wie er beteuert und wovon auch der neue Geheimdienstchef Picquart zunehmend überzeugt ist. In den Wirren der Dreyfus-Affäre, die ganz Europa erschüttert, rollt er den Fall neu auf. Weshalb er bald selbst zwischen die Mühlräder der Macht gerät und das Ziel dunkler Machenschaften wird 
Der elsässische Offizier Alfred Dreyfus, einziger Jude im französischen Generalstab, soll Militärgeheimnisse verraten haben. Von einem geheimen Militärgericht wird er zu Unrecht verurteilt, und die Degradierung wird mit viel Pomp und Getöse öffentlich zelebriert. Nur wenige wittern den Skandal, während die Massen von der Presse aufgehetzt werden. Krawalle, Intrigen, Fälschungen, Ministerstürze, Attentate, versuchte Staatsstreiche sind die Folgen. Die Französische Republik stürzt in eine tiefe Krise. Der offene Antisemitismus bricht sich Bahn. Zu den wenigen, die von Dreyfus Unschuld überzeugt sind, gehört der neue Geheimdienstchef Picquart. Mit dem Kampf für die Rehabilitierung von Dreyfus setzt er allerdings das eigene Leben aufs Spiel.

Robert Harris wurde 1957 in Nottingham geboren und studierte in Cambridge. Er war Reporter bei der BBC, Redakteur beim "Observer" und Kolumnist bei der "Sunday Times" und dem "Daily Telegraph". 2003 wurde er als bester Kolumnist mit dem British Press Award ausgezeichnet. Er schrieb mehrere Sachbücher und zahlreiche Romane. Robert Harris lebt mit seiner Familie in Berkshire.

11.11.2013

Thema: Fragen an den Lektor

Thema: Fragen an den Lektor
Mikesch kommentierte am 28. Oktober 2013 um 22:48

Hallo,

darf ich mal eine allgemeine Frage zu den deutschen Buchtiteln stellen? Wer legt fest, wie ein Buch in Deutschland heißen wird? Und warum wird nicht einfach der Originaltitel ins deutsche übersetzt? Oft sind es ja komplett andere Titel und ich denke mir manchmal: der Originaltitel paßt viel viel besser zu dem Buch. Bei "Intrige" ist es ja genauso. Der Originaltitel heißt "An Officer and Spy" und hat mit der deutschen Übersetzung ja mal so gar nichts mehr gemein. Was jetzt besser paßt, kann ich nicht sagen, weil ich das Buch im Moment noch nicht lese ;-)

Aber interessiert hat mich diese Frage schon länger. Über eine Antwort würde ich mich freuen.

Liebe Grüße von Mikesch

Thema: Fragen an den Lektor
Miss.mesmerized kommentierte am 29. Oktober 2013 um 16:34

Wenn man Originaltitel ins Deutsche übersetzt, kommt so ein Unfug wie bei john Le Carré bei raus "Der Spion, der aus der Kälte kam". Ich frage mich jedes Mal, ob der Übersetzer wirklich so schlecht Englisch konnte oder ob da beim Verlag jemand böse gepennt hat. Man muss die Inhalte übertragen, bei "An Officer and Spy" hätte ich da jetzt aber auch kein Problem gesehen - es sei denn fürs Marketing ist eine bestimmte Linie bei einer Reihe eines Autors vorgesehen (hat man bei Stig Larsson ja auch so gemacht).

Thema: Fragen an den Lektor
Patrick Niemeyer kommentierte am 30. Oktober 2013 um 16:32

Unfug hin oder her - den Titel wird auch in hundert Jahren niemand vergessen haben. Und obwohl es in Deutschland keine Postmänner gibt, weiß jeder, dass diese zweimal klingeln ;-)

Lektor

Thema: Fragen an den Lektor
Patrick Niemeyer kommentierte am 30. Oktober 2013 um 16:26

(Ich hatte gestern schon einmal angesetzt, aber plötzlich war die Seite und mein Text weg; ging wohl auch anderen schon so.)

 

Also, ganz allgemein: Der standardmäßige Verlagsvertrag sieht vor, dass Titel und Ausstattung eines Buches dem Verlag obliegen (da dieser ja auch das gesamte Risiko trägt). In der Regel ist es also der deutsche Verlag, der festlegt, wie der Buchtitel der deutschen Ausgabe lauten soll. Viele Originaltitel lassen sich nicht ins Deutsche übertragen. Ein gutes Beispiel ist auch "An Officer and a Spy". Wer schon einmal Schlagzeilen einer britischen Zeitung gelesen hat, der weiß, wie sehr der Brite sich an Wortspielen erfreut; im Deutschen ist das nur auf den Wirtschaftsseiten üblich, und es klingt meistens – mal ehrlich – eher bemüht bis peinlich. Der englische Titel ist also eine Wortspielerei mit dem Idiom "an officer and a gentleman", das hierzulande durch den Richard-Gere-Film bekannt wurde, aber eben nur als Filmtitel. Der Brite hat diese Assoziation zum Film aber nicht. Jetzt könnte man natürlich versuchen, eine deutsche Entsprechung zum englischen Idiom zu finden. (Kleiner Test: Wie würde ein Deutscher beispielsweise "a rolling stone gathers no moss" in seiner Muttersprache ausdrücken?)

Punkt eins bei der Titelwahl ist also schon mal, dass es kulturelle Unterschiede gibt. Manchmal nimmt man diese in Kauf, meistens ist man aber besser beraten, es nicht zu tun. Punkt zwei ist, dass es anders als in anderen Ländern in Deutschland ein sehr rigides Titelschutzrecht gibt. Wir können schlicht nicht jeden Titel übersetzten, es kommt nämlich gar nicht so selten vor, dass der Titel schon belegt ist. Im konkreten Fall hätte ein anderer deutscher Verlag das Recht gehabt, uns den Titel zu verbieten, aber wir haben mit ihm ein Gentleman's Agreement getroffen. Umgekehrt hatte ich mal den Fall, dass Stephen King unseren deutschen Titel gern selbst fürs Original genommen hätte, es aber unterlassen hat, obwohl es in den USA kein derartiges Titelschutzrecht gibt. Es gab aber schon einen gleichlautenden Titel von Toni Morrison, und er ist eben auch Gentleman. Punkt drei: Bestimmte Titelarten werden oft zu Marken. Es trifft also durchaus zu, was hier über Stig Larsson gesagt wurde (By the way: Die Übersetzer haben rein gar nichts mit dem Titel zu tun, also bitte gnädig sein ...). Never change a winning team, sozusagen. Vielleicht verrate ich hier zu viel, aber: Bücher sind ein Handelsprodukt. Gerade Autoren wissen das sehr genau.

Zurück auf Anfang: Wie gesagt, allein der Verlag ist für den Titel verantwortlich. In ganz seltenen gibt es zwar eine Vertragsklausel, die den Autor mit einbezieht, nicht so jedoch im Fall Robert Harris. Trotzdem sprechen wir alles mit ihm ab, und die Entscheidung für "Intrige" wurde gemeinsam getroffen.

Das war jetzt mal die kurze Ausführung, zum Thema gäbe es noch weitere Punkte, aber die alle abzuhandeln wäre abendfüllend.

(Auflösung der Testfrage: Während der Angelsachse Dinge überwiegend positivisch, aktivisch und dynamisch empfindet, ist im Deutschen das Negativische, Passivische und Statische weiter verbreitet, weshalb wir für den gleichen Sachverhalt das Sprichwort "Wer rastet, der rostet" haben. Dass hier etwas auch im Deutschen mit zwei Verben ausgedrückt wird, ist eher die Ausnahme. Normalerweise überwiegen Substantive. Und jetzt ehrlich – hätte das jemand als korrekte Übersetzung eines Titels empfunden?)

Lektor

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Miss.mesmerized kommentierte am 30. Oktober 2013 um 17:47

Vielen Dank für die ausführlichen Informationen. Einiges war mir bekannt, manches lässt sich auch gar nicht sinnvoll übertragen (ich habe einige Zeit mein Geld damit verdient und weiß um die Problematik). Der einzige Haken bei der Titelgestaltung ist, dass das in jedem Land anders läuft und wer wie ich in verschiedenen Sprachen liest, hat dann auch schnell mal dasselbe Buch zweimal :-) 

Thema: Fragen an den Lektor
Mikesch kommentierte am 30. Oktober 2013 um 19:37

Wow, vielen Dank für die ausführliche Antwort. Fand ich sehr interessant - ich bin ja "nur" Leser und mit der Branche so gar nicht vertraut. Da finde ich es schon mächtig interessant, wie sich die Verträge so gestalten und wer wo bei den Büchern Einfluß nimmt. Liebe Grüße von Mikesch

Thema: Fragen an den Lektor
Noki97 kommentierte am 31. Oktober 2013 um 12:37

Hallo! Vielen Dank für Ihre ausführlichen Infos!

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FunnyLesen kommentierte am 29. Oktober 2013 um 08:51

Wo genau konnten Sie bei diesem Buch eigentlich Einfluss nehmen? Direkt bei der Entstehung mit Absprache durch den Autor oder erst bei der Übersetzung, also in Zusammenarbeit mit dem Übersetzer? Und ist ein übersetztes Werk so ziemlich 1:1 übersetzt oder wird dabei auch noch mal gekürzt oder teilweise umgearbeitet?

Thema: Fragen an den Lektor
Patrick Niemeyer kommentierte am 30. Oktober 2013 um 17:15

In diesem Fall wurde 1:1 übersetzt. Auf Autorenseite Einfluss zu nehmen ist bei Lizenzen aus dem Ausland eher unüblich, wäre aber bei Robert Harris durchaus möglich. In meiner gesamten Laufbahn ist mir selten jemand so Professionelles und gleichzeitig so Hilfsbereites untergekommen wie er. Einfluss habe ich bei der Übersetzung behutsam im sprachlichen Bereich genommen, aber die Übersetzung war schon im Rohzustand sehr, sehr gut. Heutzutage kann man zumindest bei so großen Autoren wie Robert Harris davon ausgehen, dass weder gekürzt noch umgearbeitet wird. Früher war das tatsächlich anders. Da hat man knallhart auf eine bestimmte Länge gekürzt, wodurch praktisch ganz andere Bücher herauskamen. Bekanntes Beispiel sind die Romane von Raymond Chandler, die anfänglich drastisch auf druckpressenfreundliche Doppelnutzen gekürzt wurden.

Die Entstehung von "Intrige" ist bzgl. Übersetzung übrigens eher unüblich abgelaufen. Wenn das interessiert, müsste ich fast einen neuen Thread aufmachen. Soll ich?

Lektor

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FunnyLesen kommentierte am 30. Oktober 2013 um 19:52

Also mich interessiert's auf jeden Fall!

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Noki97 kommentierte am 31. Oktober 2013 um 12:31

Mich auch!

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Fornika kommentierte am 31. Oktober 2013 um 17:59

Da wäre ich auch sehr interessiert!

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Patrick Niemeyer kommentierte am 09. November 2013 um 14:31

Auf die Idee, einen Roman über die Dreyfus-Affäre zu schreiben, kam Harris, als er einmal bei Roman Polanski zu Besuch war (der Harris’ Roman „Ghost/Ghostwriter“ verfilmt hat) und in dessen Bücherregal einiges zum Thema stehen sah. Ihm ist es wie vielen von uns hier in der Leserunde gegangen: Man hat schon mal davon gehört, aber nix Genaues weiß man nicht. Also hat er recherchiert, und das gründlich, weil just nach 100 Jahren Verschluss die Prozessakten zur öffentlichen Einsicht freigegeben wurden. Es macht zum Teil die Genialität eines Autors wie Harris aus, dass er in dem unübersichtlichen Geschehen just jene Figur ausfindig macht, die sich für einen romantischen Helden eignet, in diesem Fall also Picquart. Hat er erst einmal alles recherchiert, geht das Schreiben der Geschichte sehr flott, so flott, dass er seine Bücher meist von Februar bis Juli schreibt und das Buch dann schon Ende September im Original erscheint. Nun aber zum angedeuteten unüblichen Übersetzungsvorgang: Wir genießen das Privileg, dass Harris bereits um Ostern herum einen ersten Teil abliefert, mit dem wir sofort die Übersetzung starten können, obwohl er das Buch noch nicht fertiggeschrieben hat. So geht das bis zur Fertigstellung in regelmäßigen Chargen, d.h. wenn er den Schlusspunkt setzt, sind wir nicht weit hintendran. Dieses Vorgehen ist einzigartig.

Übrigens: Als Harris die Idee zum Roman hatte, war die Whistleblower-Thematik (Manning, Snowdon) noch nicht in der Öffentlichkeit virulent; und besonders pikant: Die Abhörszene mit den Deutschen war längst geschrieben, ja gedruckt, bevor neulich diese Sache mit NSA und Merkel hochkam. Kurioserweise hat die Wirklichkeit auch schon bei seinem Vorgängerroman „Angst“ die Fiktion kopiert. Pünktlich zum Erscheinen des Buchs hatten wir all diese Headlines i.S. Computerbörsencrash. Das Ganze kommt allerdings nicht von ungefähr. In all seinen Romanen benutzt Harris eine historische Folie, um gegenwärtige politische Geschehen zu analysieren, nach dem Motto: There’s nothing new under the sun. Die Katastrophe in seinem Roman „Pompeji“? Nine-eleven, ick hör dir trapsen. Und seine Cicero-Romane, bei denen der dritte Band der Trilogie noch aussteht, beleuchten die heutigen, weltweiten Politikergebaren ganz allgemein (Weltwirtschaft, Sicherheitspolitik, Kriege ...). Aus dem Nähkästchen: Kaum einem Rezenten ist aufgefallen, dass in Anspielungen auf heutige Begebenheiten in den Dialogszenen oft Originalzitate von Mitterand, Clinton, Blair usw. – you name it – verwendet werden. Ich freue mich schon auf die Schnitzeljagd nach Zitaten im dritten Band.

Ach, noch etwas: Bislang hat Harris, der sich früher immerhin in hohen Politikerkreisen bewegt hat, wie jeder vernünftige Mensch all diese dämlichen Verschwörungstheoretiker bestenfalls belächelt. Im Fall Dreyfus ist er sich aber sicher, dass es genau das war: eine großangelegte Verschwörung auf allen Ebenen. Lernen wir daraus etwa auch etwas über die Gegenwart?

NB: Ursprünglich war zeitgleich eine Polanski-Verfilmung zum Thema geplant. Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ...

Lektor

Thema: Fragen an den Lektor
FunnyLesen sagte am 11. November 2013 um 11:44

Danke für diesen Einblick! Ich finde es total spannend zu hören, wie die Autoren auf Ideen für ihre Romane kommen, die ganze Arbeit an einem Roman überhaupt abläuft und auch das "Geplauder aus dem Nähkästchen" lese ich total gerne. Das sind alles Informationen, die man sonst ja niemals bekommt. (und ich wüsste auch bei vielen Sachen gar nicht, wie ich es als Frage formulieren würde, um diese Dinge zu erfahren...)

Thema: Fragen an den Lektor
Noki97 kommentierte am 30. Oktober 2013 um 07:16

Hallo!

Ich habe in meinen Kommentaren ja schon angedeutet, dass ich vor diesem Buch mich nicht mit der genauen Geschichte und politischen Lage beschäftigt habe. Ich persönlich finde es daher immer schön, wenn bei Romanen dieser Art ein ganz kurzer Abriss der Geschichte beigefügt ist, um sich einen kurzen Überblick machen und manche Verflechtungen genauer verstehen zu können. Achten Sie und der Verlag auch auf soetwas oder können Sie soetwas als Lektor anregen?

Thema: Fragen an den Lektor
Patrick Niemeyer kommentierte am 30. Oktober 2013 um 17:38

Ganz ehrlich? "Früher" war es durchaus üblich, mehr mit Glossaren und Anmerkungsapparaten zu hantieren. Man musste davon ausgehen, dass nicht jeder seinen Plötz oder Brockhaus zu Hause stehen hatte. Heute sind wir alle nur ein oder zwei Klicks von Wikipedia et al. entfernt, d.h. die Notwendigkeit, hintergründige Zusatzinformation – neudeutsch: Content -  mitzuliefern, besteht längst nicht mehr so sehr. Im konkreten Fall haben noch zwei Dinge dagegengesprochen: Zeitmangel und gleichzeitig die hohe Komplexität des Ganzen. Vielleicht nicht ganz so komplex wie der Krieg der Rosen oder das Lied von Eis und Feuer, aber knapp dahinter. Lieber den Ausschnitt der Wirklichkeit betrachten, den uns Picquart durch seine Augen gewährt, und das Romanhafte genießen, als alles überschauen zu wollen. Die Fakten im Buch sollten übrigens alle wasserdicht sein. Nur die Gedanken von Picquart sind Spekulation des Autors.

Lektor

Thema: Fragen an den Lektor
Noki97 kommentierte am 31. Oktober 2013 um 12:30

Danke!

Natürlich gibt es das WWW zur schnellen Recherche. Aber wenn ich "Old School" lese, dann bin ich fernab der Bits und Bytes und könnte im Buch bei Bedarf nachschlagen...  Ich persönlich finde es immer gut!