Rezension

Außergewöhnlich klasse

Marmorkuss - Jennifer Benkau

Marmorkuss
von Jennifer Benkau

Kurzbeschreibung:
Der 19-jährige Jarno möchte nur eins, anders sein als seine Eltern. Weg von der Alkoholsucht des Vaters, weg von der Mutter, die ihr Dasein nur noch vor dem Fernseher erträgt. Einzig seine 3 kleineren Geschwister zu verlassen fällt ihm schwer aber dennoch zieht er in eine WG, um seinen Traum von einer Ausbildung zum Fotografen verwirklichen zu können. Leider muss er schnell feststellen, dass es nicht so einfach ist sich aus dem Sumpf zu befreien und erlebt einen herben Rückschlag.
Als er ziemlich entmutigt durch die Gegend streift, entdeckt er eine alte verfallene Villa - deren Bewohnerin, eine marmorne Statue, sein Leben grundlegend verändern wird.

Meine Meinung:
Wenn man sich das Cover anschaut, könnte man meinen, eine dieser üblichen, märchenhaften „Mädchengeschichten“ vor sich zu haben, die dem Leser eine kuschelige Decke überwerfen und ihm den Geschmack von duftendem Rosenblütenblättertee auf die Zunge zaubern. 
FALSCH!
Wer Freude an diesem Buch haben möchte, sollte sich von solchen Vorstellungen ganz schnell verabschieden, oder sich zumindest auf eine völlig andere Betrachtungsweise einstellen.
Liebe Jungs, das ist der Wink mit dem Zaunpfahl für euch - falls euch der Schutzumschlag zu kitschig ist, macht ihn ab (darunter ist das Buch schlicht weiß) und lest die Geschichte.

Wer hier die süße Prinzessin und den schillernden Prinzen erwartet, könnte enttäuscht werden, obwohl beide auf eine gewisse Weise vorhanden sind, aber eben ganz, ganz anders. Und genau das ist es, was die Geschichte zu etwas ganz Besonderem macht.

Eigentlich macht der erste Satz diese Andersartigkeit auch schon deutlich:
Teil 1
Es war einmal ... 
„Pisseflecken an grauer Betonwand.“
Was es damit auf sich hat, solltet ihr unbedingt selber lesen.

Das Buch ist in 3 Teile aufgeteilt und jeder Teil besitzt eine eigene Sprache und besondere Eigenarten. In Teil 1 befinden wir uns zum Beispiel in verschiedenen Zeiten. Jarno im Hier und Jetzt, Klara über Hundert Jahre in der Vergangenheit. Beide lassen uns an ihrem Leben, ihren Sorgen, Nöten und Träumen teilhaben und schnell wird deutlich, wie unterschiedlich die Zeiten auch sein mögen, die Wünsche der beiden ähneln sich sehr. Diese Gemeinsamkeiten werden mit einem wunderbaren Stilmittel, das ich vorher noch nirgends entdeckt habe, hervorgehoben. Beim Wechsel der Perspektiven von Jarno zu Klara und umgekehrt, teilen beide sich einen Satz. Das heißt: der letzte Satz endet  mittendrin und wird von der nächsten Figur mit passendem Kontext fortgesetzt.

Sehr gut hat mir auch gefallen, dass ich Jarno und Klara recht intensiv kennenlernen durfte, bevor die beiden selber aufeinander getroffen sind. So konnte ich ihr Handeln und ihre weitere Entwicklung noch besser nachvollziehen.

„Na wunderbar. Ihm flatterten Schmetterlinge im Bauch und sie sah ihn an, als hätte sie eine Falterphobie.“  (Seite 213)

Ich mag Jennifer Benkaus Art zu schreiben. Frisch, frech, witzig, ehrlich, dramatisch, spannend, traurig ... poetisch:

„Die Stadt war ein steingewordener Abschiedsschmerz, an jeder Ecke schnitt man sich an zerbrochenen Träumen.“ (Seite 33)

Fazit:
Eine betörende Geschichte. Steinige Wege, lebendig erzählt und gewürzt mit einer Prise Magie, die sich jeder lebenslang bewahren sollte.