Rezension

Durch ein Bild zurück in die Vergangenheit

Das Bild der Erinnerung - Micaela Jary

Das Bild der Erinnerung
von Micaela Jary

Ein lange verschollenes Bild, "Das Liebespaar" von Leo Reichenstein, wird in der Galerie, in der Anna Falkenberg, eine junge Kunsthistorikerin, arbeitet, angeboten. Der Galeriebesitzer wittert ein gutes Geschäft, wird ihm doch die komplette Sammlung von Philip Coleman in Aussicht gestellt.
Um die Echtheit des Gemäldes zu beglaubigen, soll Anna eine Expertise zu dem Bild erstellen. Sie selbst hat von Anfang an ihre Zweifel über die Echtheit, macht sich aber mit eher mäßigem Erfolg an die Arbeit.
Ein Stempel auf der Rückseite zeigt, dass sich dieses Gemälde einmal in der Londoner Galerie Richardson befand und Anna schreibt den Besitzer zu dem Bild an und bittet um Auskunft. Die Antwort jedoch bestätigt nur ihre Zweifel hinsichtlich des Bildes und sie versucht, der Wahrheit um das Bild auf den Grund zu gehen ...

Der Autorin Micaela Jary ist es hervorragend gelungen, um dieses verschollene und wieder aufgetauchte Bild eine Geschichte zu schreiben, die die Lebenswege verschiedener Personen betreffen.

Der Roman spielt in 3 Zeitebenen, in der heutigen Zeit und rückblickend in den Jahren 1946 sowie 1961 in den Städten Berlin, München und London.
Durch die wechselnden Zeiten offenbaren sich dem Leser Schicksale, die betroffen machen. Schicksale, die die Zeiten brachten, ausgehend aus der Nachkriegszeit.

Alles fing seinerzeit in Berlin 1946 an, der Zeit der Fräuleinwunder, als Berlin unter der Besatzung der 4 alliierten Staaten stand.
In Berlin lernen sich der britische Captain Henry Richardson, der Amerikaner Lieutenant Philip Coleman und die deutschen Frauen Grete Brahm und ihre Nichte Felicity, Fee genannt und die Krankenschwester Brigitte kennen. Die Umstände haben sie zueinander geführt.

Es sind harte Zeiten für alle. So kurz nach dem Krieg fehlt es an allem, Essen, Heizmaterial, Wohnungen. Die Trümmerfrauen sind dabei, Berlin wieder aufzubauen, in bestehende Häuser und Wohnungen werden Zwangszuweisungen von Heimatlosen vorgenommen, die medizinische Versorgung ist am Boden. Als Deutsche hat man sowieso nichts mehr zu lachen und zu erwarten.
Es ist aber auch eine Zeit, in der die Kunsträuber unterwegs sind, Gemälde wurden gestohlen und in die eigenen Länder verschifft. Und doch gab es auch zu dieser Zeit Menschen, die Kunstwerke versteckt gehalten haben, damit sie nicht geraubt werden, die Einsatz zeigten.

Micaela Jary hat mit ihrem Roman diese Zeit wieder auferstehen lassen. Es gibt viele Bücher über die Zeit des Krieges, aber über die Nachkriegszeit, wie hier speziell in Berlin, habe ich noch nicht soviel gesehen.
Realitätsnah ist es der Autorin gelungen, die Atmosphäre dieser Zeit einzufangen, mit all ihren Nöten und Ängsten, die die Menschen zu der damaligen Zeit bedrängten. Als Leser hatte ich das Gefühl, mich in eben dieser Zeit selbst zu bewegen, so anschaulich konnte sie mir die Zeit nahe bringen.
Dieses Buch ist ist fast ein Geschichtsbuch der Berliner Nachkriegszeit mit allem, was dazugehört.

Die Geschehnisse 1946 haben Einfluss auf die Werdegänge der Protagonisten bis in die Gegenwart hinein und teilweise auch auf ihre Nachkommen.
Die genauen Zusammenhänge und Verknüpfungen werden erst gegen Ende deutlich und überraschen den Leser.

Das Anfertigen einer Expertise über das angebotene Bild in einer Galerie als Anlass zu nehmen, einen Roman über die Nachkriegszeit zu schreiben, finde ich genial und absolut gelungen.
Micaela Jary hat für diesen Roman hervorragende Recherchearbeit geleistet.
Ich bin ja ein großer Fan von Geschichten und Geheimnissen, die Gegenwart und Vergangenheit miteinander verknüpfen und die Autorin hat an der Stelle meinen Nerv getroffen.

Mit diesem Roman habe ich nicht nur ein Geschichtsbuch über die Nachkriegszeit in Berlin in der Hand, sondern auch ein Buch über Liebe, Gefühle, Hoffnungen, Schicksal und Verrat, das 3 Zeitepochen gekonnt miteinander verbindet.

Es ist ein ergreifendes Buch, das ich sehr gern weiterempfehle.