Rezension

Ein überraschend tiefgründiges Buch

Tage mit Leuchtkäfern - Zoe Hagen

Tage mit Leuchtkäfern
von Zoe Hagen

Bewertet mit 5 Sternen

INHALT
Die 15-jährige Berlinerin Antonia, genannt Gandhi, hasst ihr Leben und vor allem ihre ach so perfekte Mutter.
Elterliche Zuneigung und Wärme kennt sie nicht und vermisst diese sehr. Infolge flüchtet sich Gandhi in Bulimie und beginnt sich zu ritzen. Die innere Leere und ihr Außenseitertum ist groß.
Erst als sie eines Tages Fred und dessen Freunden Amira, Lynn, Noah und Fabien begegnet, erfährt sie Verständnis und wahre Freundschaft. Doch Fred & Co sind keine gewöhnlichen jungen Erwachsenen, sondern bilden den geheimen "Club der verhinderten Selbstmörder". Wird Gandhi gerade durch sie wieder Freude am Leben gewinnen und die Bulimie besiegen können?

MEINUNG
"Tage mit Leuchtkäfern" ist das erste Buch der deutschen Jungautorin Zoe Hagen, das ich bisher gelesen habe. Es hat mir ausgesprochen gut gefallen, mich regelrecht positiv überrascht. Warum?

Erstens, Zoe Hagen schreibt im Tagebuchstil, was ich so nicht erwartet hätte und bei Romanen eher ungewöhnlich ist. Doch Ich-Erzählerin und damit Tagebuchschreiberin Gandhi konnte im Laufe der Handlung damit überzeugen. Man lernt sie und ihre Sorgen bzw. Nöte dadurch viel intensiver und authentischer kennen. Ich mochte besonders ihre direkte bis flapsige Sprache, die perfekt zu ihrem widersprüchlichen Charakter passte. Auch Gott als Adressat ihrer Briefe bzw. Tagebucheinträge lässt sich mit ihrer zwiespältigen Art erklären, denn obwohl sie Atheistin ist, schreibt sie ausgerechnet ihm. Was für eine Ironie des Schicksals!

Zweitens, Zoe Hagen beschönigt in ihrer Geschichte die Realität bzw. schmerzliche Vergangenheit von Gandhi, Fred etc. nicht, sondern nennt Dinge schonungslos offen beim Namen. Und obschon alle Charaktere Schlimmes durchgemacht haben, können sie miteinander lachen und das Leben genießen. Diese Freundschaft lässt Gandhi wieder ans Leben glauben und ist besser als jede Therapie.

Drittens, jede der verschiedenen Figuren ist anders gestaltet, sprich, hat einen anderen Charakter bzw. bestimmte Spleens. So liebt der nihilistische Noah alte Musik und Gustave Flaubert, fabuliert einfach gern. Fred hingegen ist etwas verrückt und macht schon mal spontan im Winter einen Schneeengel. Fabien kommt aus Frankreich und sagt zu allem "C'est la vie". Mir haben diese unterschiedlichen Charaktere sehr gefallen, auch wenn man nicht über jede Figur alles erfährt. Sie haben der Geschichte Farbe und Heiterkeit verliehen.

Viertens, Weltliteratur (Flaubert und Catull) wurde an passenden, meist philosophischen Stellen in die Handlung eingebunden, was das Niveau des Buchs ungemein gesteigert hat. Zudem kam dadurch Tiefe in die Story.

Fünftens, das Cover wurde sehr stimmungsvoll und ansprechend designt. Es harmoniert bestens mit dem Inhalt und wird die junge Leserschaft sicher anziehen.

Hier ein paar Zitate zur Einstimmung:

"Denn manchmal ist die Illusion schöner als die Realität, die Realität nichts als die schlechte Kopie der Vorstellung."

"Für meine Wunden heute gibt es keine Pflaster. Sie sind in mir, ich verblute innerlich und schaue mir dabei zu und kann doch nichts ändern."

"Nun fühle ich es, und mein Herz droht zu zerreißen, und ich bin wütend und zufrieden zugleich, und ich sehe, atme und weine und lache, aber mehr als das spüre ich: Ich lebe."

FAZIT
Ein authentisches Buch über Lebensverdruss und -lust. Absolute Leseempfehlung!