Rezension

Fliegende Hunde

Fliegende Hunde - Wlada Kolosowa

Fliegende Hunde
von Wlada Kolosowa

Bewertet mit 5 Sternen

Eine Freundschaft, die sie schon ihr Leben lang begleitet: Oksana und Lena sind wie Zwillinge. Schon die Mütter waren befreundet und haben die Mädchen am selben Tag zur Welt gebracht. Aufgewachsen in nebeneinanderliegenden Plattbauwohnungen am Rande von St. Petersburg haben sie die letzten siebzehn Jahre alles in ihrem Leben geteilt. Doch plötzlich trennen sich ihre Wege: die dürre Lena wird trotz ihrer Glupschaugen als Model entdeckt und fliegt nach Shanghai, wo das glamouröse Modeldasein auf sie wartet. Oksana bleibt in der grauen Vorstadt, wo sie mithilfe eines geheimen Forums und einer obskuren Diät versucht, ein paar Kilos zu verlieren. Erstmals getrennt voneinander müssen sich die Mädchen in der Welt ohne die Freundin neu orientieren. Oksana findet in Mammut einen neuen Freund, Lena passt sich an die Bedingungen im harten Modelbusiness an.

 

Man braucht nicht lange, um sich in Wlada Kolosowas Roman rundum wohlzufühlen. Der Beginn der Erzählung mit den Rahmenbedingungen der absurden Leningrad-Diät ist schlichtweg köstlich. Auch wenn einem bei diesem Humor bisweilen der Atem wegbleibt, weil es nun doch arg grenzwertig ist, auf welches Vorbild die Forums-Besucher zurückgreifen, kann man sich nur zu gut vorstellen, dass junge Mädchen auf genau solche abstrusen Ideen kommen, um an Gewicht zu verlieren. Ungemein sympathisch dabei Oksana, die findet

 

„dass es ihr nicht schaden würde, zumindest ein bisschen magersüchtig zu sein: Sie hatte in ihrem Leben noch nie eine Diät länger als bis zum Abendessen durchgehalten.“

 

Der Autorin gelingt hier der Spagat ein ernstes Thema aufzugreifen - im Laufe der Handlung wird sich die Dramatik noch weiter zuspitzen - ohne dabei mahnend den Finger zu erheben oder eine rosarot verklärte heile Welt aufzubauen, in der der Wunsch nach Schlanksein und einem hübschen Äußeren nicht wichtig ist. Gerade indem sie die zweite Protagonistin zum Model macht und an ihr die gerne übersehenen negativen Seiten des Business aufzeigt, macht sie die Diskrepanz zwischen Realität und Wunschtraum noch deutlicher.

 

Neben den beiden wirklich liebenswerten Mädchen, die vor keine leichte Aufgabe beim Erwachsenwerden gestellt werden, können auch die anderen Figuren überzeugen. Der zunächst seltsame Mammut, dessen gutes Herz nicht gleich erkannt wird oder das mahnende Gewissen in Form der alten Baba Polja, die Details der St. Petersburger Belagerung erinnert, aber das fünf Minuten zuvor Gesagte schon vergessen hat.

 

Wlada Kolosowas größte Stärke ist jedoch der Witz und Humor, mit dem sie der trost- und perspektivlosen Vorstadt ebenso wie der heruntergekommenen Model-WG begegnet. Sie findet den richtigen Ton zwischen ironischer Distanz, die erforderlich ist, um die Gegebenheiten auszuhalten, und herzlicher Nähe, die man bei der liebevollen Figurenzeichnung in jeder Zeile erkennt. Ihre Beschreibungen des russischen Alltags lassen den Pragmatismus der Menschen erkennen, die Lage ist nicht gut, aber auch nicht hoffnungslos und so lange man etwas Ordentliches zu essen hat und die Liebsten um sich herum, ist das Leben eigentlich gar nicht so schlecht.

 

Kein Wohlfühlbuch für die Seele, aber ein Roman, der einem mit einem wohlig-zufriedenen Gefühl zurücklässt.