Rezension

Interessenkonflikte

Das Eis - Laline Paull

Das Eis
von Laline Paull

Bewertet mit 4 Sternen

          “Das Eis“ ist nach ihrem Debütroman  “Die Bienen“ Laline Paulls zweiter Roman. Schauplatz der Handlung ist überwiegend die Arktis. Ein Kreuzfahrtschiff mit vielen enttäuschten Passagieren, denen man werbewirksam die Sichtung von Eisbären versprochen hatte, durchqueren eine Passage. Dann sehen sie nicht nur einen riesigen Eisbären, sondern auch einen kalbenden Gletscher, der eine Leiche freigibt. Wie sich herausstellt, handelt es sich um den drei Jahre zuvor verschwundenen Umweltaktivisten Tom Harding. Sein Freund und Geschäftspartner Sean Cawson wird in London telefonisch von seinem Mentor Joe Kingsmith informiert. 
Sean Cawson wird in der Folge massiv mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Da gibt es nicht nur seine gescheiterte Ehe, die zerstörte Beziehung zu seiner Tochter Rosie, sondern vor allem die mysteriösen Umstände von Toms Verschwinden und Tod. In zahlreichen Rückblenden wird die Geschichte nachgeholt: wie sich Tom und Sean als Studenten kennenlernten und durch ihre Liebe zur Arktis verbunden eine tiefe Freundschaft entwickelten, wie Sean in die Fänge seines Mentors Joe Kingsmith, eines dubiosen, immens reichen Geschäftsmannes geriet, der auch Sean durch Beratung und geschickte Investitionen reich machte. Während Tom zeitweise Chef von Greenpeace war, findet Sean immer mehr Geschmack an Reichtum und Macht, wodurch ihre Freundschaft nicht gerade konfliktfrei ist. Für ein großes Projekt finden sie dann noch einmal zusammen. Sie entwickeln das Geschäftsmodell  einer exklusiven Lodge für betuchte Gäste, das sich gleichzeitig dem Umweltschutz verpflichtet.
In der Erzählgegenwart muss sich Sean als Zeuge einer gerichtlichen Untersuchung stellen, die Klarheit über Toms Tod und Seans mögliche Verstrickung in die Ereignisse bringen soll, denn er war der Letzte, der Tom lebend in einer einstürzenden Eishöhle gesehen hat, aus der er sich lebend retten konnte.
Der von der Zeitstruktur her komplizierte Roman ist zugleich Umweltthriller  und Gerichtsdrama. Die globale Erwärmung, die zum Schmelzen der Polkappen und zum Einsturz der Höhle führt, existiert in der Realität. Interessanterweise schrieb Paull das Buch, noch bevor Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ankündigte und zeigt die Brisanz des Themas. Anfangs nicht frei von Längen gewinnt das Buch zunehmend an Tempo und Spannung, zum Beispiel wenn die Autorin zeigt, wie weit Menschen in ihrer Gier nach Macht und Reichtum zu gehen bereit sind. Laline Paull beschreibt erneut  reale, vom Menschen verursachte Entwicklungen, die die Zukunft der Menschheit gefährden. Im ersten Roman war es das verhängnisvolle Bienensterben, im neuen Buch die Klimakatastrophe mit all ihren desaströsen Folgen. Man kann sagen, dass die Autorin die Schwierigkeit, eine fiktive Handlung mit einem ernsten Anliegen zu verknüpfen, recht gut meistert.