Rezension

Zauberhaft

Der Trick - Emanuel Bergmann

Der Trick
von Emanuel Bergmann

Bewertet mit 4 Sternen

»Es war diese Geste, die sich in der Erinnerung seines Sohnes einprägen sollte: die angedeutete Verbeugung, der ausladende Halbkreis, den seine Hand beschrieb, das erwartungsfrohe Ausstrecken, das Zurechtzupfen des Ärmels, die feste und dennoch sanfte Art, wie er den Stoff berührte, die blitzschnelle Drehung des Handgelenks, und dann das Finale, das Aufwallen des Tuches, mit einem Geräusch wie ferner Donner, dazu der Staub, der sich in den durch das Dachfenster einfallenden Sonnstrahlen fing wie tausend kleine Diamanten.«

Prag, 1934. Der 15jährige Mosche Goldenhirsch leidet noch immer unter dem frühen Tod seiner Mutter. Zudem sucht er seinen eigenen Weg, denn eins ist ihm klar: Ein Leben als Rabbiner, so wie sein Vater, kommt für ihn nicht in Frage. Als er in einem Wanderzirkus einen Zauberer sieht, ist er fasziniert von dieser ihm völlig fremden Welt. Kurzentschlossen läuft er von zuhause fort und schließt sich dem Zirkus an…

Los Angeles, 2007. Max Cohn steht vor der größten Krise seines 10jährigen Lebens. Seine Eltern wollen sich scheiden lassen und damit seine kleine glückliche Welt zerstören. In den alten Sachen seines Vaters findet er die Schallplatte eines Zauberers und ist von diesem Moment an davon überzeugt, dass „Der Große Zabbatini“ mit seinem Zauber der „Ewigen Liebe“ seine Eltern wieder versöhnen kann. Er muss ihn nur noch finden…

 

Dieses Buch hat mich von der ersten Seite weg in seinen Bann gezogen. Abwechselnd wird aus dem Leben zweier Jungen berichtet, die in völlig verschiedenen Zeiten und unter ganz anderen Umständen aufwachsen und deren Leben sich trotzdem eines Tages kreuzen werden. Der Autor schreibt sehr lebendig und ich fühlte mich beiden Protagonisten zu jeder Zeit nah. Das heißt allerdings nicht, dass beide zu jeder Zeit sympathisch wirkten. Der alte Mosche pflegt ein paar Verhaltensweisen, bei denen man den Kopf schütteln kann. Womöglich resultieren sie aus dem, was ihm so im Leben widerfahren ist, das Thema „Verdrängung“ spielt eine große Rolle dabei. Auf jeden Fall ist er ein interessanter Charakter, der ein ungewöhnliches Leben vorzuweisen hat. Und Max? Man könnte ihm vorwerfen, dass ein Junge seines Alters mehr Reife haben müsste, dass es in seinem Alter nicht realistisch ist, an „echten“ Zauber zu glauben. Andererseits – auch Erwachsene sind in einer verzweifelten Situation nicht selten gewillt, etwas zu glauben, das ihnen als einziger Ausweg erscheint.

 

Was man nicht erwarten darf, sind Überraschungen. Die Handlung erscheint vorhersehbar und entwickelt sich entsprechend. Gestört hat mich das hier aber nicht, denn mir gefiel die Geschichte und gelegentlich ein Buch mit einem richtig schönen Happy End muss auch mal sein. Wären da nicht einige schlimme Szenen aus der Nazizeit, könnte man glatt von einem Wohlfühlbuch sprechen. Es gibt lustige Szenen und emotionale, es gibt die Welt des Zirkus und der Magie mit ihrem ganz eigenen Reiz. Und es gibt im Buch so einige Sätze, die mir in ihrer einfachen Schlichtheit direkt ans Herz gingen.

»Er lebte nicht, er tat nur so.«

 

Eins sollte man beim Lesen allerdings nicht tun: Man sollte nicht aus den Worten „Jude“ und „1934“ sofort auf ein komplettes Holocaust-Drama schließen. Natürlich geht es auch um Judenverfolgung und die Schrecken der Naziherrschaft (bei einem Judenschicksal aus dieser Zeit geht das gar nicht anders), aber die Betonung liegt eben auf dem Wort „auch“.

 

Wenn es etwas gab, für das ich wirklich einen Punktabzug vergeben muss, dann sind das einige wenige Textpassagen, die sich hauptsächlich in der Gedankenwelt des alten Mosche abspielen. Wenn er beispielsweise „das Innere von Mickey’s Pizza Palace“ mit der Rampe von Auschwitz vergleicht, bekomme ich eine Gänsehaut. Gut, ich ordne diesen Gedanken in die gleiche Reihe ein wie die üblichen unflätigen Äußerungen von Gerichtsmedizinern, Notaufnahmeärzten oder Polizisten, mit denen diese verhindern wollen, dass das erlebte Grauen Zugang zu ihrem Inneren erhält. Und trotzdem frage ich mich, ob man so etwas schreiben sollte, ob man da Mosches Gedankenwelt nicht ein wenig sensibler hätte gestalten sollen.

 

Fazit: Schön erzählte Geschichte über zwei interessante Charaktere und die Macht der Magie.

 

»Ein Roman über die Zerbrechlichkeit des Lebens und den Willen, sich verzaubern zu lassen.« [Klappentext]