Rezension

Starkes Debüt mit schwächlichem Ende

Vox - Christina Dalcher

Vox
von Christina Dalcher

Bewertet mit 4 Sternen

Worum es geht: 

In einem Amerika unserer nahen Zukunft:
Stell dir vor, jede Frau darf nur noch genau 100 Worte am Tag sagen. Drüber und es durchfährt sie ein Stromschlag. Ausserdem darf sie nicht mehr arbeiten, ihr Mann entscheidet für sie. Jede Frau hat sich ihrem Mann oder nächsten männlichen Verwanden unterzuordnen. Wer das nicht tut, kommt in ein "Lager". Und Jeder ist selbst an der neuen Politik schuld. Kann nicht passieren? Es geht schneller als man denkt.

Meine Meinung:

In Vox wurden den Frauen nicht nur die Wörter entzogen. Es geht viel tiefer als das. Diese Dystopie zeigt wie verängstigt der weisse Mann ist und was er zu tun gedenkt um die Ordnung mit sich an der Spitze zu halten. Aus Jean's Sicht wird der Leser an die neue Welt herangeführt. Bei vier Kindern, fällt es ihr am schwersten mit anzusehen wie die 6 Jährige Tochter immer mehr verstummt, aus Angst vor der Zahl 100. Die Söhne nehmen die Gehirnwäsche wie Schwämme auf und der Mann ist von jeher ein rückratloses Schaf.
Es liest sich wie eine Familiengeschichte die als Prequel zu Handmaid's Tale fungieren könnte. Erst wurde die Ausweise und Pässe eingezogen. Die Konten auf die Männer übertragen. Kopftuch soll getragen werden. Jedes Anzeichen von Sprache, sei es Kopfnicken oder Zeichensprache wird verfolgt und unterbunden. "Lager" für Homosexuelle. Jean ist auf Patrick angewiesen, in jeder Weise.

Während Jean Probleme hat sich in ihrem neuen Leben einzufügen, erinnert sie sich mit Grauen an die vorherigen Jahre und die Anzeichen, die sie gekonnt ignoriert hat. Ihre Collegefreundin Jackie, die damals schon zu Protesten gegen die Regierung aufgerufen hatte, die sie anflehte Wählen zu gehen, und die sie als Hysterisch abgetan hatte. Patricks Bemerkungen sie solle lieber nicht zu viel Auffallen, er habe da was gehört, man wolle die Frauen ruhigstellen. Und immer wieder die Momente mit den Freundinnen und den ungläubigen Ausrufen: "Das können sie doch gar nicht umsetzen."

Ich wollte Vox gar nicht lesen, trotz toller Prämisse. Wenn ein Buch schon so gehyped wird, wie es bei Vox der Fall war, distanzier ich mich immer gerne zuerst. Meine Neugierde hat mich aber auf Netgalley.de die Leseprobe lesen lassen. Und dann dachte ich drüber nach. Paar Tage lang haben mich die ersten beiden Kapitel verfolgt. Ich bekam sie nicht aus meinem Kopf. nach einer Woche gab ich nach, ja ich musste es jetzt lesen, wollte mehr wissen. Danke an den Fischer Verlag zur Verfügungstellung des Leseexemplares.
Ich habe das Buch nach erhalt inhaliert. Inhaltlich ist es bisschen durcheinander, so wie Gedanken nun mal sind. Aber immer mitreissend, schon fast süchtigmachend. Viele etwas weit hergeholte zufälle kommen hier zusammen. Sie ist (war) Spezialistin als neurologische Linguistin und hat an einer bestimmten krankheit gearbeit für die der Präsident der vereinigten Staaten jetzt natürlich einen Spezialisten braucht. Jean bekommt sie Chance ihren Wortzähler entfernt zu kriegen, ihr altes Team zurück zu kriegen, und ihrer Tochter ein wenig Zeit zum Sprechen zu geben. Bis das Heilmittel gefunden und alles wieder beim "alten" ist.  Die neue Regelung ist erst 1 Jahr im Takt und dennoch ist der Wandel fast über Nacht entstanden und man kann als Leser nur den Kopf schütteln wie schnell alle sich eingelebt haben. Jean beobachten mit erschrecken wie 16 Jahre Erziehung zu nichte gemacht werden als ihr ältester Sohn sich den "Reinen" anschliesst. Wie ihre Tochter weint und sich wehrt als man ihr den Zähler abnimmt.

Während und nach der Lektüre habe ich mir andere Rezensionen angesehen. Aufgefallen ist mir wie fast ausschliesslich männliche Leser das Buch negativ kritisiert haben, und so so viele Frauen es als das Buch des Jahres darstellten. Ja, der Mann kommt schlecht weg. Aber nicht alle, wie es so schön heisst. Grosser Knackpunkt vieler negativen Rezensionen ist auch die Religion und den Stand den sie in diesem Roman spielt. Die bösen weissen Männer handeln im Namen der Religion, stützen sich auf die Bibel und benutzen Gott um sich zu rechtfertigen. "Generation Offended" lässt dies natürlich nicht auf sich sitzen. Wieso sollte denn jetzt die Christen die Bösen sein? Mir ist es ehrlich gesagt egal wer oder was der Böse ist. Ich hätte die Punkte der Religion auch nicht gebraucht, rege mich darüber aber auch nicht. In dem Buch gibt es so viel, dass mich aufgeregt hat, dass der Religionsaspekt nicht mal in die Top 3 kam.

Während Jean aus ihrem Haus und der Begrenzung ihrer Worte entfliehen kann, wenn auch nur für begrenzte Zeit, findet sie Gleichgesinnte und eine Rebellion, weil die gibt es immer. Ob diese noch etwas bewirken kann, darf jeder Leser für sich selbst herausfinden.
Vox hat mich sehr wütent gemacht. Die Nähe an der Realität macht es dem Leser, oder zumidnest mir, noch schwerer nicht empört zu reagieren. Ich bin eine Frau und ich glaube, dass diese Zukunft realität werden könnte, wenn man nicht aufpasst, nicht hysterisch wird, nicht wenigstens etwas tut.
Jean gefiel mir als Figur deshalb so gut, weil sie wütent ist, sich absichtlich querstellt. In vielen Punkten hätte ich ähnlich gehandelt. Dieser Umstand hat das Buch für mich unter anderem auch sehr sympathisch gemacht. Leider hat auch mich, wie so viele andere, das Ende nicht ganz überzeugt. Da fehlte was, es ging zu schnell, war zu einfach.  

Ein starkes Debüt, sicher nicht perfekt aber anregend! Mit kleineren Kritikpunkten hier und da, wusste Vox dennoch zumindest mich soweit zu überzeugen, dass ich den weiteren Werdegang der Autorin verfolgen werde.