Rezension

Atmosphärisch, schauriger Thriller ...

Der Schatten - Melanie Raabe

Der Schatten
von Melanie Raabe

Bewertet mit 4 Sternen

Norahs altes Leben hat so viele Baustellen, das sie kurzum alles hinter sich lässt und neu in Wien anfangen möchte. Als Journalistin hat sie dort eine Stelle bekommen und freut sich auf die Stadt. Aber der Anfang gestaltet sich schwer. Innerlich unruhig, ob sie vielleicht doch überreagiert hat. Und die Stadt zeigt sich abweisend, grau und nicht von der besten Seite. Allein steht sie nun in der neuen Wohnung, ohne Möbel und hält die Stille nicht aus. Also raus auf die Straße, aber auch hier ist kein Gefühl von Willkommen zu spüren. Auf ihren Weg zur Redaktion begegnet sie einer Bettlerin und diese sagt zu ihr: „Am 11. Februar wirst du am Prater einen Mann namens Arthur Grimm töten. Aus freien Stücken. Und mit gutem Grund.“ Norah nimmt die verwirrte Irre nicht ernst, obwohl sie das Datum berührt, denn ihre Vergangenheit hat an diesem Tag einen Schatten. Sie versucht einfach weiter zu machen und plötzlich taucht der Name Arthur Grimm auch in ihrer Umgebung auf. Ist das wirklich ein Zufall? Hat Norah doch einen Grund sich an dieser Person zu rächen? Und ist sie wirklich bereit zur Mörderin zu werden?

Ich bin ein absoluter Fan von Melanie Raabes Thrillern, bis jetzt konnte sie mich immer packen und ihre Art zu erzählen ist einfach erste Sahne. Sie kann so wunderbar den Leser um den Finger wickeln und einen verwirren, gern treibt sie einen auf die falsche Spur und lässt einen wirklich zappeln. Für mich sind es aber auch nicht reine Thriller, sondern sie packt auch gern noch ein oder zwei andere Zutaten mit hinein. Ihr könnt euch also vorstellen, dass ich es kaum abwarten konnte, ihre neues Buch in den Händen zu halten. Ob sie es wieder geschafft hat mich zu begeistern, erzähle ich euch nun.

Norah hat schon ein ziemlich bewegendes Leben geführt, als wir sie kennenlernen. Eine Vollblut Journalisten, die auch die Schattenseiten kennt und verdammt gut ist in ihren Job. Aber genau der Job, treibt sie raus aus Berlin und nach Wien. Ihre letzte Story hat ihr Leben schwer erschüttert und sie versucht, in Wien sich wieder zu erden und zu ihrer alten Stärke zurück zu kehren. Aber schnell schleichen sich Gedanken ein, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, musste sie wirklich alles hinter sich lassen, auch ihren Freund. Man spürt sofort diese Einsamkeit, man kann die Stille förmlich laut ticken hören und ihre Unruhe spüren. Norah ist ein schwieriger Charakter, der nicht unbedingt sympathisch erscheint, oft impulsiv, schnell eingeschnappt und gern in der Außenseiterrolle. Sie macht es ihren Freunden, ihrem Umfeld und dem Leser nicht immer leicht. Nach der Begegnung mit der Bettlerin fragt man sich schnell, ob sie nun überschnappt, oder sich ihre Wahrnehmung trübt. Was die Autorin ja gern mit ihren Figuren macht, mit der Auffassung ihrer Protagonisten spielen, verwirren und uns Rätseln lassen, ist es jetzt echt passiert, oder nur in ihren Kopf. Obwohl man sich auch fragt, macht sie das nun wirklich zum dritten Mal so, oder legt sie uns rein. Sprich das Spiel zum wild spekulieren ist eröffnet und gern nimmt man den Kampf auf.

Melanie Raabe hat sich hier wieder einen ganz interessanten Rahmen ausgesucht und sich als Schauplatz, meine Lieblingsstadt rausgesucht. Im Sommer ist diese Stadt einfach ein Traum, an Farben, Freude und beschwingter Gemütlichkeit. Im Winter allerdings kommt auch die Farbe grau, die Melancholie und die Schwermut hinzu. Es ist einfach ein anderes Bild, was hier eingefangen wird und passt hervorragend zur Geschichte. Dort kann die Figur durch dunkle Gassen eilen, den langen Schatten um die Ecke erahnen und das Flüstern durch Mauern hören. Es ist mystisch und schaurig zu gleich. Auch die Leidenschaft für die Kunst, bietet Wien einen großen Rahmen und so kann die Autorin aus ihren eigenen Leidenschaften voll schöpfen und das hat sie ganz wunderbar geschafft.

Allerdings konnte mich die Geschichte zum Ende hin nicht ganz überzeugen und das ist für mich ein großer Wehmutstropfen. Da ich absolut kein Freund davon bin, Szenen nicht komplett zu erzählen, damit die Auflösung sonst am Ende nicht klappt. Das spüre ich beim Lesen einfach, da denke ich, da fehlt was und Moment, da muss noch was kommen und am Ende wird es dann ausgeschmückt. Ganz ehrlich das funktioniert bei mir nicht und nimmt mir wirklich das Vergnügen an der Entwicklung der Geschichte. Das war für mich absolut nicht stimmig und fand ich Schade, da einfach die Atmosphäre ziemlich gut eingefangen war. Immerhin stellt man sich selbst die Frage, würde man selbst zum Mörder werden? Was muss passieren, um einen dahin zu bekommen? Diese Idee war schon ziemlich genial gemacht.

Der Schatten hat mir gut gefallen, düster, atmosphärisch, fesselnd, aber es ist für mich kein typischer Thriller gewesen, sondern eher ein ziemlich gelungender Schauerroman.