Rezension

Ein Meisterwerk. Informativ, unterhaltsam, Lesegenuss pur

Der Untergang Barcelonas - Albert Sánchez Piñol

Der Untergang Barcelonas
von Albert Sanchez Pinol

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Meisterwerk. Lesegenuss pur: etwas zum Lachen, zum Nachdenken und zum Weinen.

Es ist ein Meisterwerk, da besteht absolut kein Zweifel, das sieht man schon nach den ersten paar Seiten. Das Buch wird in Deutschland noch seine Erfolge feiern.

Ich war sofort in der Geschichte drin und genoss sie in vollen Zügen, dabei oft am Schwärmen, wie gut sie an sich ist, auch wie toll sie gemacht/erzählt ist, und das kommt bei mir nicht besonders oft vor.
Die Story fängt einfach an: Zuvi als alter Mann diktiert seine Lebensgeschichte der Frau, die ihm sowohl seine Wunden versorgt, als auch imstande ist, für ihn zu schreiben, das alles für einen nicht allzu hohen Lohn.
Die Erzählung fängt im März 1705 an, als der 14-Jähriger Zuvi nach Basoches geht, um dort Ingenieurwesen beim großen Lehrmeister Vauban zu studieren.

Welch Selbstironie, Humor, Lebenskenntnis und Lebensweisheit der Erzähler dabei an den Tag legt! Man glaubt ihm sofort, egal, ob es um seine eigene Geschichte geht oder die seiner etlichen Weggefährten, die er in den Hauptstrang hineinwebt. Es waren Vertreter aller Gesellschaftsschichten: die Schönheiten und die Krüppel, die Feingeister seiner Zeit und die Grobiane, die nur Grausiges im Sinne hatten. Mit einem der Mörder hatte er gute Zuvi einige Hühner zu rupfen, etc.

Der Erzähler teilt mit dem Leser seine Überlegungen zu brennenden Fragen der damaligen Gesellschaft, die auch heute ihre Aktualität nicht verloren haben, z.B. warum Katalonien damals wie heute unabhängig sein möchte und wo die Unterschiede zwischen Katalonien und Kastilien liegen, welche Geschehnisse der damaligen Zeit zur heutigen Situation geführt haben. Er philosophiert auch zum Thema Krieg und Frieden, wie fast allen Bereichen des Lebens.

Der Roman bietet eine Vielfalt an Situationen und Szenen, die nur das Leben selbst übertrifft, von den kurzen Momenten des Glücks bis zu den schaurigen Bildern des Krieges. Aber die Schwerfälligkeit, Traurigkeit wie Ausweglosigkeit eines Idelfonso Falcones im "Die Kathedrale des Meeres" vermutet man hier vergeblich. Der Stoff ist mit so einer Leichtigkeit erzählt worden, die noch Ihresgleichen sucht und ist eher etwas zum Schmunzeln als zum Grübeln. Ich mag einfach die Art, wie diese Geschichte, die aus vielen kleineren Geschichten besteht, vor dem Leser ausgebreitet worden ist. Das hat schon etwas mit Kunst zu tun. Die Bilder wechseln sich ab wie in einem Kaleidoskop, es wird mal süß, mal anrührend, mal lehreich, mal grausig, aber nie langweilig.

Mag sein, dass einige Leser es nicht so spannend finden könnten, wenn es um die Details zur Erbauung der Festungen oder Besonderheiten der Kriegsführung in der damaligen Zeit und dergleichen technischen Details geht, aber ich fand, dass diese Dinge in Maßen dargereicht worden sind und die Geduld nicht überstrapazieren. Außerdem sind sie recht unterhaltsam erzählt worden, z.B. in seiner Ausbildung musste der junge Zuvi sich eine perfekte Beobachtungsfertigkeit antrainieren. Mit welchen Mitteln dies erreicht wurde, das muss man lieber selbst lesen, wie so viele andere Dinge, wie: Zuvi hat später einem zugelaufenen Kind, das eine Zeit lang zu seiner patchwork Familie in Barcelona gehörte und leidenschaftlich gerne klaute, eine Lektion erteilt. Solche pädagogische Methoden sind heute eher wenig praktikabel, aber sie haben etwas Besonderes an sich und bleiben länger im Gedächtnis.

An sex&love mangelt es gewiss nicht. Dies ist aber auch so erzählt worden, dass man diese Dinge mit der gewissen Prise Selbstironie des alten Mannes wahrnimmt. Und schon gleich gibt es die nächste Szene und die noch so schwierige Herausforderung für Zuvi, davon gibt es eh reichlich, schon fast wie in einem Hollywood Action Film. In dem Buch aber ist die Handlung dazu da, um einen unterhaltend zum Nachdenken zu bringen, mit den Figuren lachen und weinen zu lassen, kurz, einen einzigartigen Lesegenuss zu bieten.

Gut möglich, dass dieser sehr guter Eindruck dem Umstand zu verdanken ist, dass ich die Hörbuch-Variante gewählt habe. Die Geschichte ist wunderbar gelesen von Stephan Benson. Seine Stimme macht die Bilder lebendig: man glaubt ohne Weiteres, dass der alte Zuvi vor einem sitzt und seine Geschichten einem persönlich erzählt.

Man darf die congeniale Leistung der Übersetzerin Susanne Lange nicht vergessen. Es gibt keine Stellen, die mir etwa spanisch vorkamen oder sonst wie negativ aufgefallen wären, ganz im Gegenteil: Die Sprache ist so bildhaft, natürlich und zum Greifen nah, dass man glatt vergisst, dass der Originaltext auf Spanisch verfasst worden ist. Also großartig sind alle drei: Der Autor, die Übersetzerin und der Sprecher.

Mag sein, dass ich diese Rezension um einige Details oder Punkte später noch ergänze, das spielt aber keine besonders große Rolle. Eines steht jetzt schon fest: Das Buch verdient 5 von 5 möglichen Sternen und eine klare Leseempfehlung. Kann sein, dass eine gewisse persönliche Reife nicht abträglich wäre, um in den vollen Genuss dieses Werkes zu kommen, aber es ist kein Muss. Es ist so geschrieben worden, dass es allen verständlich sein dürfte. Lesenswert ist es auf jeden Fall.