Rezension

Eine Expedition ans andere Ende der Welt, zwei ungleiche Frauen und eine einzigartige Freundschaft

Miss Bensons Reise -

Miss Bensons Reise
von Rachel Joyce

Bewertet mit 5 Sternen

„Und was bedeutete das schon, Heimat? Angenommen, Heimat war nicht der Ort, wo man herkam, sondern etwas, das man bei sich trug wie einen Koffer? Margery wusste inzwischen auch, dass man Koffer sogar verlieren konnte. Man konnte das Gepäck eines anderen Menschen öffnen und in seine Kleider schlüpfen, und auch wenn man sich darin anfangs fremd und verloren fühlte, blieb doch etwas in einem gleich und wurde sogar ein bisschen wahrhaftiger, ein bisschen freier.“

Seit dem Tod ihres Vaters hat Margery Benson nur einen Traum: Sie möchte den goldenen Käfer aus dem Naturkundebuch ihres Vaters finden. Dieser lebt in Neukaledonien, weit weg von Margerys Heimat London. Im Jahr 1950 setzt sie ihren Plan von der Käferexkursion in die Tat um, aber nicht allein. Über eine Zeitungsannonce  sucht sie eine Expeditionsbegleitung. Die junge, ziemlich überdrehte Enid Pretty meldet sich daraufhin bei ihr. Obwohl Margery sie zunächst für völlig ungeeignet hält, treten die beiden ungleichen Frauen die Dampferreise nach Australien gemeinsam an. Eine Reise, die in ein Abenteuer führt, das alles verändert...

 

„Miss Bensons Reise“ liest sich angenehm und flüssig. Erfolgsautorin Rachel Joyce bringt mit ihrem klaren Schreibstil die Dinge auf den Punkt und formuliert wunderbare Sätze zum Innehalten und Genießen wie: „Da kann man um die halbe Welt reisen, so viel man will: Was immer an vernichtender Traurigkeit in einem steckte, reist mit.“ 

 

Was Rachel Joyces neuer Roman „Miss Bensons Reise“ ausmacht, sind ihre beiden hinreißenden Hauptfiguren. Zwei tragische, sehr ungleiche Gestalten, die das Schicksal zusammengeführt hat. Margery arbeitet in London als Hauswirtschaftslehrerin. Das Wort „solide“ umschreibt sie ziemlich prägnant, so heißt es auch im Nachwort. Miss Benson lebt ein Leben, in dem sie unglücklich ist. Auf Fotos schneidet sie sich beispielsweise immer ihren Kopf ab, sowenig kann sie sich selbst leiden. Mit anderen Menschen kann sie aber auch nichts anfangen: „Käfer, ja, die verstand sie. Es waren die Menschen, die ihr fremd geworden waren“. 

Enid verhält sich im Gegensatz zu Margery immer etwas zu schrill, zu laut, zu grell, wirkt mitunter etwas skurril. Hinter der bunten, überdrehten, ständig plappernden Fassade steckt ein unvergleichlicher, ganz und gar einzigartiger, liebenswerter Mensch: „Enid war Enid-artiger als jede andere Person, der Margery jemals begegnet war“.

 

Wird Margery den goldenen Käfer finden?

Diese Frage zieht sich durch die gesamte Handlung. Aber Rachel Joyces Geschichte ist nicht nur eine Abenteuergeschichte, sondern vor allem eine Geschichte über eine ganz besondere Beziehung, eine außergewöhnliche Freundschaft, und über Träume. Der Figuren - und die Leser auch- lernen einiges über und für das Leben. So lernt Margery durchaus auch von Enid, die so viel jünger und ungebildeter ist: „Enid hatte Recht gehabt, die ganze Zeit. Margerys Abenteuer bestand nicht darin, dass sie der Welt ihren Stempel aufdrückte. Es bestand vielmehr darin, dass die Welt ihr ihren Stempel aufdrückte.“ Enid ermuntert sie: „Merk Dir das, Marge. Du darfst nie wieder aufgeben. (...) „Was uns zugestoßen ist, macht nicht das aus, was wir sind. Wir können sein, was wir sein möchten.“ Das sind Sätze, die die Leser sicher auch gerne glauben möchten. Nach der Lektüre dieses wundervollen Romans fühlte ich mich trotz des nicht ganz harmonischen Endes jedenfalls um einiges reicher. Eine umwerfende, bemerkenswerte Geschichte, die mich beeindruckt hat, man sollte mehr solcher Romane lesen.